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Hart attackierte traditionelle Einkommenssteuer

(NZZ – WIRTSCHAFT – Freitag, 9. Juni 2000, Nr. 133, Seite 25)

Gehört konsumorientierten Konzepten die Zukunft?

Das traditionelle Konzept der Einkommensbesteuerung weist in praktisch allen westlichen Industriestaaten grosse Mängel auf, die zu volkswirtschaftlichen Effizienzverlusten führen. Die Finanzwissenschaft hat verschiedene Ansätze für eine einfache, transparente und diskriminierungsfreie Einkommens- undGewinnbesteuerung entwickelt. Dazu gehören die Flat Tax und die Zinsbereinigung der Bemessungsgrundlagen, die am Donnerstag an der von der Progress Foundation organisierten 13. Economic Conference vorgestellt wurden.

rg. Die Frage nach der «richtigen» und «gerechten» Einkommens- undGewinnbesteuerung wird diskutiert, seit es diese direkten Steuern gibt. Dafür gibt es zumindest zwei gewichtige Gründe. Zum einen gleicht das Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte Konzept der sogenannten umfassenden Einkommensbesteuerung, also der möglichst unterschiedslosen Erfassung aller in einem Kalenderjahr erzielten Markt- und Transfereinkommen als Bemessungsgrundlage, in der Realität eher einem System der Willkür. Zum anderen führt das traditionelle Konzept zu Mehrfachbelastungen von Kapitaleinkünften, was mit einer fairen Steuerlastverteilung schwerlich vereinbar ist und zudem volkswirtschaftliche Effizienzverluste impliziert. Spätestens seit den achtziger Jahren hat die Finanzwissenschaft offenbar praxistaugliche Alternativen entwickelt. Im deutschsprachigen Raum gehört Manfred Rose (Universität Heidelberg), in den USA Alvin Rabushka (Hoover Institution, StanfordUniversity) zu den wichtigsten Vertretern einer Einkommensbesteuerung auf zinsbereinigter Basis bzw. einer Flat Tax. Sie skizzierten ihre Modelle im Rahmen der von der Progress Foundation durchgeführten 13. Economic Conference am Donnerstagabendin Zürich.

Lebenszeitlich orientiertes System

Nach Rose, der rhetorisch geschickt mit der traditionellen direkten Besteuerung hart ins Gericht ging, muss eine wirklich faire Einkommensbesteuerung gewährleisten, dass alle Arten von Markteinkommen und sonstigen Einkommen während der Lebenszeit des Steuerzahlers nur einmal nach Massgabe des gesetzlich vorgegebenen Steuertarifs belastet werden. Die real existierenden Systeme belasteten jedoch die Kapitaleinkünfte im Zeitablauf gleich mehrfach, nämlich zuerst das «Saatgut» (Ersparnis) und in der Folge die «Ernte» (Kapitalerträge). Mit eindrücklichen Rechenbeispielen zeigte er auf, dass es sich etwa für einen Jungunternehmer, gäbe es keine Schlupflöcher, in keiner Weise lohnen würde, die erwirtschafteten Gewinne zu sparen undzu investieren, um im Alter durch den Verkauf seiner Firma den Alterskonsum finanzieren zu können. Die fiskalische Belastung hat nämlich in der langen Frist fast konfiskatorischen Charakter. Diese Steuerwirkung sei den verantwortlichen Politikern allerdings sehr schwer zu vermitteln, betonte Rose nicht ohne Ironie.

An sich gibt es die Konzepte der Sparbereinigung, der Investitionsbereinigung und der Zinsbereinigung der Bemessungsgrundlagen, um die verschiedenartigen Einkünfte während des Lebenszeitraums des Bürgers nur einmalig zu belasten. Es sind mithin Konzepte, die bei der Einkommens- und Gewinnbesteuerung entweder das «Saatgut» oder die «Ernte», aber nicht beides zusammen fiskalisch belasten, wie es heute die Regel ist. Rose favorisiert selbstredend das von ihm (mit)entwickelte und in Kroatien angeblich erfolgreich implementierte Konzept der Zinsbereinigung der Bemessungsgrundlagen. Die zugrunde liegende Idee ist bestechend einfach: Um die blosse Einmalbelastung von Markteinkommen in lebenszeitlicher Sicht zu erreichen, wird bei der Unternehmensbesteuerung der Gewinn um die (fiktiven) Zinsen auf dem betrieblich eingesetzten Eigenkapital gemindert. Der so ermittelte Gewinn ist folglich um alle Kapitalkosten bereinigt, so dass in der Terminologie von Rose von einem «ökonomischen Reingewinn» gesprochen werden kann, der besteuert wird. Oder anders ausgedrückt: Durch die Abzugsfähigkeit der Eigenkapitalzinsen wird eine Mehrfachbelastung vermieden. Rose spricht in diesem Zusammenhang bezeichnenderweise von «Schutzzinsen», die aus Gründen der Rechtsgleichheit auch bei privaten Zinseinkünften geltend gemacht werden könnten. – Das von Rose propagierte System der Einkommens- und Gewinnbesteuerung löst zwar das Problem der Doppel- undMehrfachbelastung von Ersparnis und Kapitalerträgen, überzeugt aber doch nicht vollständig.

Die Flat Tax – eine Radikallösung

So steht und fällt das Konzept mit der «richtigen » Festsetzung des «Schutzzinses», also der abzugsfähigen Eigenkapitalzinsen. Diesen korrekt zu ermitteln, dürfte schwierig sein – von den Problemen in Zeiten grosser Zinsvolatilität ganz zu schweigen. Da sich zudem an den heute praktizierten komplizierten Vorschriften der Gewinnermittlung bei juristischen Personen und des steuerbaren Einkommens bei natürlichen Personen wenig ändern würde, folgt, dass das ganze System der direkten Besteuerung ein ständiges Politikum bliebe undInteressengruppen auch künftig massiven Druck auf den Gesetzgeber für fiskalische Schlupflöcher ihrer Kundschaft ausüben würden.

Alle diese Nachteile hätte die von Rabushka auf «lockere», eben typisch amerikanische Art erläuterte Flat Tax (Einheitssteuer) nicht. Sie kennt nur einen proportionalen Steuersatz für sämtliche Formen von Einkommen. Die Einheitssteuer belastet, vereinfacht ausgedrückt, den Cash-Flow der gesamten Wirtschaft. Bei diesem System, das wirklich sämtliche Einkommensarten – selbst Nebenleistungen (Fringe Benefits) – lückenlos erfassen würde, handelt es sich wie bei Roses Konzept auf Grund der Sofortabschreibung von Investitionsgütern um eine Einkommensbesteuerung, die Mehrfachbelastungen vermeidet. Allerdings hat auch die Flat Tax ihre nicht zu unterschätzenden Tücken. Auf diese interessante Alternative wirdin der nächsten Ausgabe zurückzukommen sein.

NZZ 9. Juni 2000, Seite 25

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