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Was trägt die Allianz?

(NZZ – POLITISCHE LITERATUR – Samstag/Sonntag, 18./19. März 2006, Nr. 65, Seite 13)

Die USA und Europa – ungleiche Partner

Das transatlantische Verhältnis war nie frei von Differenzen. Mit der Nato gaben sich Europa und Amerika aber eine Klammer, die erstmals in der Geschichte ihre Zusammengehörigkeit beschwor. Dies fiel ihnen 1949 nicht schwer, denn ihr Gegner war derselbe, und immer wenn sich unterschiedliche Wahrnehmungen zeigten, war der Konsens die Allianz, auf die sie sich berufen konnten. Nun ist dieser Rückgriff nicht mehr so bequem – Amerika und Europa sehen sich wieder auf ihr Ausgangsverhältnis zurückgeworfen. Die Frage nach dem «Wozu» des Verteidigungsbündnisses konfrontiert sie erneut mit ihren Interessen und Präferenzen; erneut müssen sie sich darüber verständigen, wer sie sind und wen sie füreinander sein wollen.

«Der Westen – was sonst?», diese Antwort gaben der Bayreuther Soziologe Michael Zöller und der stellvertretende Chefredaktor der «Neuen Zürcher Zeitung», Hansrudolf Kamer, einem Buch als Titel, in dem sich zwölf prominente politische Experten aus Amerika und Europa für die Bewahrung der transatlantischen Verbindung aussprechen. Dennoch will dieses Buch keinesfalls glätten, sondern dokumentieren – wohl im guten Glauben, dass es zwischen Verbündeten möglich sein sollte, sich über die je eigene Ansicht der Weltlage einmal auszusprechen, ohne gleich zu befremden. So liest man über Befindlichkeiten und Ziele, Umfrageergebnisse undWünsche diesund jenseits des Atlantiks, die überwiegend in Vorträgen dargelegt wurden, als die Hitze der Irak-Intervention die Agenda noch bestimmte.

Die Amerikaner sehen sich da vor allem im Krieg (gegen den Terrorismus); und sie mahnen recht allgemein, dass die Errungenschaften des Westens nur mit wehrhaften Staaten verteidigt werden könnten – welche auch immer sich dafür zusammenfinden mögen. Die Europäer dagegen fühlen sich zwar angesprochen, wollen so generell aber nicht darauf eintreten und reflektieren sich selbst und ihr transatlantisches Verhältnis lieber erst noch einmal gründlich – das alte Europa, hier Deutschland, im Zwiespalt zwischen Assimilation und Antiamerikanismus, das neue Europa, Polen und Bulgarien, deutlich pragmatischer und aufgeschlossener, vielleicht auch lebensklüger. Insgesamt legt das Buch vorsichtig nahe, dass noch längst nicht abgemacht sei, wie das transatlantische Verhältnis zukünftig gestaltet werden wird – nur, dass man sich noch brauche jedenfalls.

Als beschlossene Sache und inhaltlich schon festgelegt geht es dagegen der Münchener Politologe Werner Weidenfeld an. Er spricht zwar von einem «Grundgesetz transatlantischer Ambivalenz», das nur während des Kalten Krieges einmal habe ausser Kraft gesetzt werden können, sich nun aber wieder einstelle. Und in groben Strichen zeichnet er wohl deshalb zunächst die «gemeinsame » Geschichte zweier recht ungleicher Partner nach: Es sind ein zukunftsorientierter und ein vergangenheitsschwerer, ein hochgemuter und ein selbstkritischer, ein weltgewandter und ein provinzieller. Feiertagsappelle und «hohles Pathos» dürften nicht mehr reichen. Denn «welcher amerikanische Traum sollte heute in Europa verwirklicht werden?», fragt der Autor. Dennoch wartet er dann leichter Hand mit Standardratschlägen auf, meint zu wissen, dass die altenWurzeln und die kongruenten Probleme schon auf den gemeinsamen Weg zurückweisen werden, und preist dafür auch gleich ein Programm an, das bisweilen seinerseits «hohl» anmutet und kaum die «Neubegründung der transatlantischen Gemeinschaft » zuwege bringen könnte.

Anette Bingemer


Michael Zöller, Hansrudolf Kamer (Hrsg.): Der Westen – was sonst? Amerika und Europa brauchen sich noch. Verlag NZZ, Zürich 2005. 216 S., Fr. 48.–, € 33.–.
Werner Weidenfeld: Rivalität der Partner. Die Zukunft der transatlantischen Beziehungen – Die Chance eines Neubeginns. Bertelsmann-Stiftung, Gütersloh 2005. 205 S., Fr. 43.80, € 25.–.

NZZ Samstag/Sonntag, 18./19. März 2006, Seite 13

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