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Geld (allein) macht nicht glücklich – aber der Staat erst recht nicht

(NZZ – WIRTSCHAFT – Samstag/Sonntag, 15./16. April 2006, Seite 23)

«Glücklich möchten alle Menschen werden. Wenn sie reich wären, würden sie auch glücklich sein, meinen die meisten, meinen, Glück und Geld verhielten sich zusammen wie die Kartoffel zur Kartoffelstaude, die Wurzel zur Pflanze. Wie irren sie sich doch gröblich . . .!»
Jeremias Gotthelf

Wenn ein Buch der «traurigen Wissenschaft», wie die Ökonomie genannt wird, in den Feuilletons gleichermassen Anklang findet wie in der Zunft selbst, macht das hellhörig. Die Rede ist von «Happiness: Lessons from a New Science» (2005) des britischen Wirtschaftswissenschafters Richard Layard. Das neue Gebiet der ökonomischen Glücksforschung behandelt Themen, die bisher als Domäne von Philosophen und Psychologen oder der Dichtkunst galten. Ökonomen befassten sich dagegen – und befassen sich mehrheitlich weiterhin – vor allem mitWohlstand, wohl wissend, dass Geld (allein) weder glücklich macht noch sinngebend ist und dass statistische Konstrukte wie das Bruttosozialprodukt voller Verzerrungen sind.

DIE ANSPRÜCHE STEIGEN

Vor diesem Hintergrund kommt der Glücksforschung das Verdienst zu, in Erinnerung zu rufen, dass Ökonomie sich nie bloss mit Effizienz und Gewinn beschäftigen sollte, sondern sich auf ihre Wurzeln als Theorie menschlichen Wohlergehens besinnen sollte. Ausserdem erweitert sie die Wirtschaftswissenschaften um Einsichten wie die, dass Heirat und Kinder auf lange Sicht zufrieden machen, Arbeitslose besonders unglücklich und direkte Demokratie oder Freiheit «Glücksbringer» sind. Sie bestätigt schliesslich, dassWohlstand eine notwendigeVoraussetzung von Glück ist, zumindest bis zu einem gewissen Niveau, jedoch Glück nicht garantiert. Zugleich nährt die ökonomische Glücksforschung aber antimaterialistische Empfindungen, leistet dem sozialdemokratischen Mainstream mit seinem Hang zum Paternalismus Vorschub und lädt zu missbräuchlichen Interpretationen ein.

Eine «Erkenntnis» lautet, die Industriestaaten seien trotz dem Reichtum heute nicht glücklicher als 1960. Gleichzeitig zeigen andere Forschungen, dass Stagnation unglücklich macht und mehr Wohlstand das Wohlbefinden steigert. Wie passt das zusammen? Des Rätsels Lösung lautet, dass die Ansprüche steigen, sich der «Referenzpunkt» also verschiebt. Der Student freut sich über das erste selbstverdiente Auto, und sei es noch so verlottert. Mit fünfzig ist der Besitz eines solchen Autos dagegen kaum mit Glücksgefühlen verbunden. Die Erinnerung an frühes Glück erklärt auch zum Teil die von den Religionen (einschliesslich der eine Art moderne Religion darstellenden Wachstumskritik) bediente Sehnsucht nach dem einfachen Leben, die weitgehend auf der Illusion beruht, die Entwicklung sei umkehrbar. Doch der Umstieg vom SUV zur billigen Occasion bringt das alte Lebensgefühl nicht zurück.

VOM NUTZEN DES STATUS-NEIDS

Ein anderer Beitrag der Glücksökonomie ist die Kritik am Status-Wettlauf. Da Glück viel mit der relativen Position zu tun habe, führe dies in eineTretmühle des Konsums.Manversuche, den Nachbarn zu übertrumpfen, der wiederum durch ein noch grösseres Haus oder ein noch schnelleres Auto die Nase vorn behalten wolle.Dadieses Ergebnis weder gesellschaftlich noch individuell optimal sei, solle man den Wettlauf durch Konsumsteuern dämpfen oder gar unterbinden. Abgesehen davon, dass sich Status-Denken als Ausdruck menschlicher Natur immer Bahn schafft, wie sehr man es auch zu unterdrücken versucht, stellen sich nur schon praktische Problemewie jenes der Abgrenzung zwischen dem funktionalen und dem Status-Aspekt des Konsums. Vor allem aber lässt die Kritik am Status- Wettlauf dessen Bedeutung für die Evolution ausser acht, also den produktiven Nutzen des Status-Neids. Ihn hat schon Adam Smith erkannt, als er meinte, das Streben nach Wohlstand mache zwar den Einzelnen nicht glücklicher, bringe aber die Menschheit voran.

Schliesslich lädt die Glücksforschung mit ihremGlauben an dieMessbarkeit ganz generell zu einer konstruktivistischen Haltung ein. Weil Politik gerne das Messbare in den Vordergrund rückt und dafür Wichtigeres, das nicht quantifizierbar ist, beiseite lässt, verführt die Messung von Glück dazu, Glück zu einem zentralen kollektiven Ziel zu erklären. Von da ist es nicht weit zur «schönen neuen Welt» und zum obligatorischen – oder subventionierten – Konsum von «Glückspillen». Das liberale Kontrastprogramm zu diesem totalitären Potenzial lautet, in der Politik nicht das «grösste Glück der grössten Zahl» (Francis Hutcheson) anzustreben, sondern die amerikanische Unabhängigkeitserklärung wörtlich zu nehmen. In ihrwird als drittes Menschenrecht neben Leben und Freiheit nicht Glück, sondern das «Streben nach Glück» postuliert.

STREBEN NACH GLÜCK

Das schliesst ein, dass man sich in diesem Streben irren und dass man scheitern kann, vor allem aber, dass man unter Umständen nicht Glück als höchstes Ziel anstrebt. Das muss schon deswegen möglich sein, weil John Stuart Mills Ansicht, man könne nur glücklich werden, wenn man seine Gedanken nicht auf das eigene Glück richte, einiges für sich hat. Glück stellt sich in seinem Urteil als unbeabsichtigte Folge anderer Bestrebungen ein, des Bemühens um das Wohlergehen anderer, des Kampfes für Ideale, des Einsatzes für das Gemeinwesen oder einer künstlerischen Betätigung. Wie bei anderen politischen Zielen, etwa Gerechtigkeit oder Güterversorgung, will liberale Politik somit auch mit Blick auf das Glück Ausgangsbedingungen schaffen, nicht Endergebnisse erreichen. Diese müssen offen bleiben, aber jeder soll versuchen dürfen, nach seiner Fasson selig zu werden.

Die Beschäftigung der Ökonomen mit dem Glück stösst letztlich deswegen an Grenzen, weil «Glück» – als moderner Begriff ein Kind der Aufklärung – ein Allerweltswort ist: Heisst Glück, dass man am Ende des Lebens zufrieden zurückblicken kann, oder bedeutet es eine Aneinanderreihung hedonistischen Konsums? Und wie geht man damit um, dass Bedeutung und Inhalt von Glück im Zeitablauf, von Land zu Land und von Individuum zu Individuum variieren? Die klassische Ökonomie begegnet beidem damit, dass sie vom Handeln der Menschen auf ihr Wollen und Wünschen schliesst: Menschen bringen mit ihrem Tun ihre Präferenzen zum Ausdruck.

Das ist zwar eine ungenaue Annäherung an die Wirklichkeit, aber sie vermeidet die Anmassung, man könne von dritter Seite her besser beurteilen, was dem Einzelnen frommt. Auf diese schiefe Ebene gerät, wer etwa zu wissen vorgibt, im berühmten Märchen der Brüder Grimm handle «Hans im Glück» gegen seine Interessen,wer also in Kategorien von wahren Bedürfnissen und falschem Bewusstsein denkt. Solches Denken, auch wenn es im Gewand ökonomischer Forschung daherkommt, droht auf die Überwindung der Qual und Irrtumsanfälligkeit der Wahl hinauszulaufen. Damit schüttet man die wichtigste Quelle nachhaltigen Glücks zu, die Offenheit für Chancen und für Hoffnung. Daher sollte der Staat niemals versuchen, Glück zu produzieren oder zu bringen, sondern stattdessen die individuelle Suche nach demGlück zulassen und möglichst wenig behindern.

G. S.

NZZ Samstag/Sonntag, 15./16. April 2006, Seite 23

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