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Das Faszinosum der Vielfalt

(NZZ – WIRTSCHAFT – Montag, 7. August 2006, Nr. 180, Seite 13)

Wirtschaft im Gespräch

Die verschiedenen Welten des Ökonomieprofessors Tyler Cowen

G. S. Es ist nicht ungewöhnlich, aber doch immer wieder wohltuend überraschend, wenn man feststellt, dass die grössten Bewunderer der Schweiz Ausländer sind. Einer davon ist Tyler Cowen. Er ist zumindest in einschlägigen Kreisen bekannt als ein Experte in Sachen Kunstökonomie (oder wohl eher: Kulturökonomie). Der 44-Jährige unterrichtet Wirtschaftswissenschaften an der renommierten George Mason University und hat bei den besten Verlagen insgesamt elf Bücher veröffentlicht, darunter «Good & Plenty: The Creative Successes of American Arts Funding», das dieses Jahr bei Princeton University Press erscheint, «Creative Destruction: How Globalization is Changing the World’s Cultures» (2002) oder «In Praise of Commercial Culture» (1998).

Sein Besuch in der Schweiz verdankt sich einer Einladung der Zürcher Progress Foundation, an deren «Economic Conference» vom Juni er über Kulturförderung aus amerikanischer Perspektive spricht. Cowen tut dies zwar mit viel Detailkenntnis, er nutzt aber seinen Auftritt zugleich, um der Schweiz ans Herz zu legen, doch ja ihre Eigenarten in allen Belangen, auch im Kulturellen, zu bewahren, und sich deshalb ja nicht der EU anzuschliessen. Dass dies nicht romantische Verklärung einer Schweiz, die es so gar nicht mehr gibt, ist, zeigt sich im Laufe des Vortrages und im anschliessenden Gespräch. Cowen wechselt zum Schluss auf Deutsch, das er bemerkenswert gut spricht, und er gibt zu erkennen, dass er in den meisten Kantonen der Schweiz schon mehrmals war, und zwar auch an durchaus abgelegenen und unspektakulären Orten.

Die Begeisterung und Kenntnis geht nicht zuletzt auf einen einjährigen Studienaufenthalt an der Universität Freiburg im Breisgau 1985–86 zurück. Er hat dort, wie er etwas schelmisch gesteht, nicht in erster Linie Ökonomie studiert, sondern Deutsch gelernt und sich mit europäischer, vor allem deutschsprachiger Kultur beschäftigt. Cowen scheint denn auch kleinere Museen, die Spielpläne der grossen Opernhäuser oder weniger bekannte Künstler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz wie selbstverständlich aus dem Gedächtnis abrufen zu können, so, als ob sein Fach nicht die «dismal science» der Ökonomie wäre, sondern Musikoder Kunstgeschichte.


Wohl nur wenige
Wirtschaftsprofessoren
haben derart vielfältige
Interessen und
Neigungen wie Tyler
Cowen.

Noch begeisterter als von seinem Fach und von Kultur – unser Gesprächspartner, der auch Spanisch spricht, sammelt unter anderem mexikanische sowie haitianische Volkskunst und besitzt Tausende von CD – ist er aber von seinem Blog, www.marginalrevolution.com. Das «Wall Street Journal» nannte diesen 2004 einen der vier besten ökonomischen Blogs im Netz. Cowen hat ihn vor rund drei Jahren gestartet und betreibt ihn zusammen mit seinem Kollegen Alex Tabarrock täglich – 365 Tage im Jahr –, er schreibt Texte, weist auf neue Publikationen hin, stellt Links zu anderen Anbietern von Informationen her. Mit 5,5 Millionen verschiedenen Besuchern seit der Gründung und 20 000 bis 30 000 Besuchern täglich ist er im Urteil Cowens auch der grösste ökonomische Blog in den USA. Da er naturgemäss viele Reaktionen erhält, investiert er täglich ein bis zwei Stunden in dieses «Hobby». Die Reaktion seiner Frau, einer gebürtigen Russin, auf die Zeitangabe lässt allerdings vermuten, dass die Zeit wohl etwas höher anzusetzen ist.

Die Spannbreite der Themen ist enorm, da finden sich Betrachtungen über den Krieg im Nahen Osten, über Frankreichs Reichensteuer oder über die Ursachen der landwirtschaftlichen Revolution ebenso wie eine ökonomische Interpretation von Dürrenmatts «Besuch der alten Dame», eine Aufzählung schwieriger Fragen, die Cowen gerne seinen Gesprächspartnern beim Mittagessen stellt, eine Analyse der Flugpreise bei Internet- Buchung oder Überlegungen zu Freundschaft und Erotik. Als roter Faden zieht sich durch alle Texte, Hinweise und Links die ökonomische und liberale Perspektive. Daneben betreibt der vielseitige Professor auch noch einen Restaurantführer für Washington auf dem Internet. Doch dahinter steckt durchaus ein tieferer Sinn: Die Küche zählt für ihn, als wäre er ein Franzose, ganz selbstverständlich zur Kultur, und die Globalisierung, die die ethnischen Küchen auf der ganzen Welt verbreitet hat, empfindet er auch von daher als kulturelle Bereicherung.

NZZ 7. August 2006, Seite 13

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