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Die EU-Verfassung als Gefahr für die Freiheit

(NZZ – WIRTSCHAFT – Freitag, 15. Juni 2007, Nr. 136, Seite 23)

Ein vergleichendes Symposium zu den Bürgerrechten

mbe. Die Freiheitsrechte von Bürgern sind häufig prekär und gefährdet – diese Einsicht ist spätestens wieder ins öffentliche Bewusstsein gedrungen, seit viele Staaten im Rahmen des Anti-Terror-Kriegs eben diese Rechte ihrer Bürger zu beschneiden begonnen haben. Wie steht es um den Schutz der Bürgerrechte gegenwärtig in Europa und in den USA, und welche unterschiedlichen Vorkehren werden dies- und jenseits des Atlantiks getroffen, damit der Staat die Freiheit seiner Bürger nicht übermässig einschränkt? Diese Frage stand im Zentrum der 24. Economic Conference der Progress Foundation und des Liberalen Instituts zur Wochenmitte in Zürich.

Mangelnde Gewaltentrennung Christian Kirchner, Professor an der juristischen und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin, nahm vor allem den gegenwärtig auf Eis gelegten EU-Verfassungsvertrag ins Visier. Er halte es zwar für unwahrscheinlich, dass der in Frankreich und in den Niederlanden abgelehnte Verfassungsvertrag in der jetzigen Form jemals eingeführt werde, aber es sei trotzdem interessant zu analysieren, wie der Vertrag die Freiheitsrechte der Menschen in Europa tangieren würde. Kirchner kam zu einem ernüchternden Ergebnis: Die Sicherung der Freiheitsrechte würde eher verschlechtert.

Positiv an der EU sei zwar, dass sie mit den vier Verkehrsfreiheiten (für Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital) die Grundfreiheiten der Bürger markant erweitert habe. Aber diese Freiheitsrechte würden mit dem Verfassungsvertrag nicht wesentlich ausgebaut. Dafür würde der Vertrag das mangelhafte System der «checks and balances» in der EU zementieren; mit der gemischten Gesetzgebung durch den Ministerrat und das EU-Parlament fiele die EU praktisch vor die Zeit der Französischen Revolution zurück, als auf dem europäischen Kontinent eine klare Trennung von Legislative und Exekutive festgeschrieben wurde. Die mangelnde institutionelle Kontrolle zwischen den Gewalten stelle eine reelle Gefahr für die Freiheitsrechte der Bürger dar. Zudem sei vom zweiten Element des Verfassungsvertrags, der europäischen Grundrechtscharta, wenig zu halten. Die bestehende Europäische Menschenrechtskonvention, die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg stark im Sinn der Bürgerrechte ausgelegt werde, könne die Freiheitsrechte weit wirksamer schützen.

Kirchner betrachtete bei seiner Analyse den europäischen Kontext nicht isoliert, sondern stellte immer auch einen Vergleich mit der Situation in den USA an. Dort wird seiner Ansicht nach weniger auf eine rein rechtliche Definition der Bürgerrechte abgestellt, sondern stärker auf eine wirksame Trennung und gegenseitige Kontrolle der staatlichen Gewalten. Roger Pilon vom Cato Institute in Washington (D. C.) pflichtete ihm in seinem Vortrag bei. Der Experte für Fragen der amerikanischen Verfassung zeichnete in groben Strichen nach, wie sich der Schutz der Freiheitsrechte in den USA seit der Inkraftsetzung der Verfassung 1789 verändert hat. In seinem Urteil ist die ursprüngliche Vision der Gründerväter zu den Bürgerrechten in den letzten zwei Jahrhunderten aber erheblich verwässert worden.

Verwässerte Vision der Gründerväter

Pilon stellte dar, wie die US-Präsidenten und das Oberste Gericht (Supreme Court) noch bis Ende des 19. Jahrhunderts die staatlichen Kompetenzen, die in der Verfassung abschliessend aufgezählt sind, sehr restriktiv auslegten. Oft seien reine Umverteilungsprojekte mit der Begründung gestoppt worden, dass der Kongress in dieser Angelegenheit keine Entscheidungskompetenz besitze. In der Progressive Era bis 1920 und später in den Zeiten des New Deal habe sich dann aber ein intellektuelles Klima durchgesetzt, das die staatlichen Kompetenzen viel weiter interpretiert habe – auf Grundlage derselben Verfassung. Dies wirke noch bis heute nach und schränke die Freiheiten der Bürger ein – etwa in der vom Supreme Court geschützten Praxis, dass der Staat die Bürger nicht zu entschädigen brauche, wenn er durch Regulierungen denWert ihres Eigentums nur teilweise vermindere und nicht vollständig zerstöre.

NZZ Freitag, 15. Juni 2007, Nr. 136, Seite 23

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