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Die Finanzkrise als Denkkrise

Gerhard Schwarz spricht in seiner NZZ-Kolumne über die Finanzkrise – und sieht in ihr zugleich eine Denkkrise. Die Krise schwelt derzeit weiter und niemand hat den Mut, Unangenehmes auszusprechen und einen Ausweg aus der lockeren Geldpolitik zu wagen. Dieser Ausweg wird zwar schmerzhaft sein, doch es sollte klar sein, dass ein stetiges Nullzins-Niveau nicht nachhaltig ist.

Lesen Sie die Kolumne hier auf der NZZ-Website.

KOLUMNE (17.02.2018)

Die Finanzkrise als Denkkrise

Es gibt aus der Finanz- und Wirtschaftskrise, in der wir weiterhin stecken, letztlich nur zwei Auswege. Der eine ist die geordnete Rückkehr zur Normalität. Der andere Ausweg ist Weiterwursteln.

Die jüngsten Turbulenzen an den internationalen Börsen haben deutlich vor Augen geführt, wie fragil die wirtschaftliche Erholung der letzten Jahre war und ist. Ein Anstieg der Löhne in den USA und der Wechsel an der Spitze des Fed haben genügt, die Angst vor einem Aufflackern der Inflation und dementsprechend vor anziehenden Zinsen zu schüren. Das hat zur deutlichen Korrektur der Aktienkurse geführt.

Ob diese nun schon bald ein (vorübergehendes) Ende findet oder nicht, sie hat jedenfalls deutlich gemacht, wie sehr die grosse Finanz- und Wirtschaftskrise weiterschwelt. Sie dauert nun – je nachdem, welches Schlüsselereignis man als Auslöser sieht, das Purzeln der Immobilienpreise in den USA, die Verweigerung der Rücknahme von Fondsanteilen durch BNP Paribas oder den Zusammenbruch von Lehman Brothers – schon zwischen 9 und 11 Jahre. Nach dem Ausbruch der Krise reagierten Regierungen und Geldbehörden mit der Rettung angeschlagener Banken und einer Flutung der Märkte in noch nie gesehenem Ausmass.

In der damaligen Notsituation war wohl beides richtig, sicher aber jedenfalls verständlich. Man musste nämlich befürchten, dass die ungeordnete Insolvenz wichtiger Banken oder das Vertrocknen der Märkte noch markant schlimmere Folgen zeitigen würde, als wir sie erlebt haben. Nur ist es seither nicht gelungen, sich aus diesem Krisenmodus zu befreien. Er ist zum Normalfall geworden, und Anleger wie Banken haben gelernt, dass der Staat im Notfall die Institute rettet.

Das hat aber das Vertrauen in die Banken nicht wiederhergestellt, im Gegenteil. Vermutlich würde das nur eine deutliche Erhöhung der Eigenkapitalausstattung leisten, wie sie die Banken von ihren Kreditnehmern ja auch verlangen. Dass sich die Banken dagegen mit dem Argument hoher Kosten vehement wehren, verhindert eine nachhaltige Sanierung des Finanzsystems und schafft für unsinnige Anliegen wie die Vollgeldinitiative fruchtbaren Nährboden. Alles andere als vertrauensbildend ist ferner die lockere Geldpolitik. Wie die Bankenrettung war auch sie kurzfristig nötig und stabilisierend. Viele Menschen haben jedoch rasch realisiert, dass das Leben auf Kredit zu fast null Zinskosten nicht nachhaltig sein kann. Es fehlt ihnen irgendwie das Urvertrauen, weil sie spüren, dass man aus der «unnatürlichen» Lage einen Ausstieg suchen muss, dass er aber mit grossen Schmerzen verbunden sein wird.

Davor scheuen sich die Verantwortlichen noch. Doch es gibt aus der Krise, in der wir weiterhin stecken, letztlich nur zwei Auswege. Der eine ist die geordnete Rückkehr zur Normalität, zu Banken, die solide finanziert sind, zu tieferen öffentlichen und privaten Schulden, zu einer markant geschrumpften Geldmenge und zu Zinsen, die den Konsumverzicht wieder entschädigen. Das wird ohne Rezessionen und Verluste an den Vermögensmärkten, also bei Aktien und Immobilien, nicht möglich sein.

Der andere Ausweg ist Weiterwursteln. Das mag aufs Erste und vorübergehend weniger schmerzhaft erscheinen. Am Ende der derzeitigen finanziellen Repression mittels tiefer Zinsen wird dann aber eine explizite Enteignung der Gläubiger durch Schuldenschnitte und ein Zwangssparen zugunsten der überschuldeten Staaten stehen – und auch das begleitet von Rezessionen und Kurseinbrüchen. Das zeigt: «Die Finanzkrise ist auch eine Denkkrise» (Paul Kirchhof). Weil man das Unangenehme nicht denken will, wird man vor lauter Schmerzvermeidung in einer noch schmerzhafteren, chaotischeren Situation landen.

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