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Das meiste «Marktversagen» ist gar keines

(Nzz.ch, 7.9.2022)

Der Begriff «Marktversagen» führt in die Irre. Er suggeriert, der Markt erfülle seine Aufgabe der Koordination von Angebot und Nachfrage nicht. Das trifft indessen oft nicht zu. Vielfach sind es gar keine richtigen Marktsituationen – oder die Ergebnisse des Marktes erscheinen den Kritikern sozial- oder kulturpolitisch negativ.

Gerhard Schwarz

Für die Grundversorgung mit Postdienstleistungen bis in jedes Bergdorf fehlen die Voraussetzungen für einen funktionierenden Markt.

Heute geht es wieder einmal um einen ökonomischen Begriff, denn mit Begriffen wird bewusst und unbewusst Politik gemacht. Kürzlich sprachen Erziehungswissenschafter in einer angeregten Runde viel von Marktversagen. Dabei wurde mir klar, dass der Ausdruck unglücklich, ja falsch gewählt ist und zu Missverständnissen einlädt, obwohl ihn auch liberale Ökonomen oft und ohne Scheu im Munde führen. Nicht umsonst reiben Kritiker der Marktwirtschaft ihn einem gerne genussvoll unter die Nase, denn Versagen hat einen negativen Beiklang und suggeriert, der Markt erfülle seine Aufgabe nicht. Doch trifft das überhaupt zu?

Manchmal erträgt es nur einen Anbieter

Zum einen wird oft Marktversagen diagnostiziert, wenn gar kein richtiger Markt zustande kommt, weil die Voraussetzungen für einen funktionierenden Markt fehlen. Das ist etwa bei sogenannten natürlichen Monopolen der Fall, wenn es, wie oft im Versorgungsbereich (Post, Strom, Verkehr), aus ökonomischen Gründen nur einen Anbieter erträgt und bei mehreren Anbietern der Preis nicht sinkt, sondern steigt.

Wenn nicht mehrere Anbieter im Preis-, Qualitäts- und Innovationswettbewerb um die Nachfrager werben, kann man kaum von Markt sprechen. Der Markt versagt also nicht, sondern man muss zwischen den Vorteilen des Wettbewerbs und den Kostennachteilen, die entstehen, wenn mehrere Unternehmen den Markt bedienen, abwägen. Der Markt ist hier nicht gratis, sondern hat, wie fast alles im Leben, seinen Preis.

Ohne Eigentumsrechte kein Markt

Externe Effekte wiederum, die man auch als Marktversagen bezeichnet, kommen zustande, weil es an klaren, gesicherten und durchsetzbaren Eigentumsrechten fehlt. Ohne sie können Märkte nie funktionieren. Sie versagen also nicht, sondern können wegen des Fehlens der richtigen Rahmenbedingungen ihre Wirkung nicht entfalten. Und bei sogenannten öffentlichen Gütern ist die Situation meist ähnlich. Man hat es verpasst, Zutrittsbarrieren zu schaffen.

Zum anderen wird von Marktversagen gesprochen, und zwar fast ausschliesslich von ökonomischen Laien, wenn das Spiel von Angebot und Nachfrage nicht zu politisch erwünschten Resultaten führt. Märkte koordinieren über die Preise Angebot und Nachfrage. Das ist ihre Aufgabe, nicht mehr und nicht weniger. Es ist aber eine Überforderung, zu verlangen, dass sie gesellschaftliche Ziele erreichen, ein bestimmtes Niveau der Forschung, ein von Experten empfohlenes Bildungsangebot, eine von journalistischen und sonstigen Tugendwächtern als akzeptabel angesehene Höhe der Löhne oder eine vielleicht von einer Mehrheit als gerecht angesehene Einkommensverteilung. Die Politik greift nicht in versagende, sondern in funktionierende Märkte ein, wenn sie mit Marktergebnissen unzufrieden ist, und versucht, diese zu korrigieren.

Wir sollten daher mit dem Begriff «Marktversagen» zurückhaltender umgehen. In der Regel ist, wenn von Marktversagen die Rede ist, nicht der Marktmechanismus kaputt oder dysfunktional, sondern er kommt gar nie zum Spielen, oder aber er erfüllt seine Koordinationsaufgabe bestens, doch bestimmte politische Minderheiten oder auch Mehrheiten sind mit dem Ergebnis dieser Koordination unzufrieden.

Gerhard Schwarz war Leiter der NZZ-Wirtschaftsredaktion und ist heute Präsident der Progress Foundation.


Quelle: https://www.nzz.ch/wirtschaft/gerhard-schwarz-das-meiste-marktversagen-ist-gar-keines-ld.1701284

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