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Muss Klimaschutz weh tun?

In Debatten über den Klimaschutz taucht oft die Vorstellung auf, jedes Land müsse den CO2-Ausstoss bei sich zu Hause reduzieren. Da es sich beim Klimawandel um ein globales Problem handelt, wäre es jedoch sinnvoll, CO2-Emissionen dort zu reduzieren, wo mit den eingesetzten Mitteln die stärkste Wirkung erzielt werden kann. Das ist nicht unmoralisch, sondern effizient.

Gerhard Schwarz, Nzz.ch, 07.02.2023

Emissionen verändern das Klima global, nicht nur lokal.

Ökonomen sind es gewohnt, dass ihre Konzepte von Nichtökonomen nicht nüchtern nach der Wirksamkeit beurteilt werden, sondern nach der Gesinnung, die sich dahinter verbirgt. In der Frage, was als moralisch zu gelten habe, halten sich ja alle für kompetent – auch wenn jeder eine andere Ansicht hat. Ein Beispiel dafür ist die Reduktion des Treibhausgasausstosses. Der Bundesrat will diesen, um das Klimaziel zu erreichen, bis 2030 halbieren. Gemäss revidiertem CO2-Gesetz soll die Reduktion zu zwei Dritteln im Inland, zu einem Drittel mit Klimaschutzprojekten im Ausland erfolgen.

Die Begrenzung des Auslandanteils hat damit zu tun, dass dieser für viele Menschen des Teufels ist. Der Erwerb sogenannter CO2-Zertifikate im Ausland erlaubt es Firmen, teure Umrüstungen ihrer Produktionsanlagen zu vermeiden und sich trotzdem als klimaneutral zu verkaufen. Und Private können dank Zertifikaten Ferien in Thailand verbringen und sich trotzdem klimapolitisch sauber fühlen.

Ablasshandel?

In den Augen vieler ist aber die Tatsache, dass man dafür zahlt, dass in einem armen Land durch Aufforstungen oder die Förderung erneuerbarer Energien CO2-Emissionen eingespart werden, statt dass man die eigene Produktions- und Lebensweise umstellt, Ablasshandel. Und obwohl dieser in der katholischen Kirche seit 1562 verboten ist, ist das noch immer ein fast vernichtender Vorwurf.

Nur: Ist der Vorwurf stimmig? Die vereinigten Gesinnungsethiker dieser Welt werden mit Ja antworten. Wem es schlicht um den wirksamen Kampf gegen den Klimawandel geht, muss hingegen daran gelegen sein, dass mit den eingesetzten Mitteln die höchstmögliche CO2-Reduktion erreicht wird. Das ist meist in ärmeren, umweltpolitisch weniger fortgeschrittenen Ländern der Fall und nicht dort, wo die Umwelteffizienz schon heute hoch ist. Und es ist dort der Fall, wo mit Aufforstungen oder der Verhinderung von Rodungen relativ billig CO2 aus der Atmosphäre gezogen und gespeichert werden kann. Die Umstellung ganzer Produktionsprozesse käme dagegen massiv teurer.

Für das Klima ist es irrelevant, ob der Rückgang der CO2-Emissionen in Basel oder Bangkok erfolgt und ob er hohe oder niedrige Kosten verursacht. Relevant ist nur, dass er stattfindet. Dass mit Waldschutzzertifikaten offenbar Schindluder getrieben wurde, wie unter anderem die «Zeit» recherchiert hat, schadet zwar dem Image der Kompensationen, ändert aber nichts am Grundsatz.

Fussabdruck im Ausland

Für Kompensationen im Ausland spricht in Bezug auf kleinere, reiche Länder wie die Schweiz zudem, dass deren CO2-Fussabdruck im Ausland besonders gross ist: Die importierten Rohstoffe beinhalten «graue» Emissionen, Schweizer Unternehmen sind stark im Ausland tätig, stossen also dort CO2 aus, vor allem aber stecken in jedem importierten Konsum- und Investitionsgut «graue» Emissionen, und Reisen ins sowie Ferienaufenthalte im Ausland führen dort zu schweizerischen CO2-Emissionen.

Nur die merkwürdige Vorstellung, Moral müsse weh tun, spricht also dagegen, CO2-Emissionen im Ausland zu reduzieren, sofern das am billigsten ist. Aus Sicht des Klimas spricht hingegen alles dafür.

Gerhard Schwarz war Leiter der NZZ-Wirtschaftsredaktion und ist heute Präsident der Progress Foundation.
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