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«Globalisierung beginnt zu Hause»

(NZZ – WIRTSCHAFT – Donnerstag, 2. Dezember 2004, Nr. 282, Seite 23)

Zwei Generationen warnen vor der Wiederholung alter Fehler

Gy. Der Begriff Globalisierung ist schillernd und vieldeutig interpretierbar. Viele Globalisierungsgegner bauen ihre Karriere auf der These auf, dass Globalisierung etwas sehr Kompliziertes sei, dem mit entsprechend komplizierten Instrumenten und aufwendiger Koordination zu begegnen sei. Nun sind am Mittwochabend an einer Veranstaltung der Progress Foundation und des Liberalen Instituts in Zürich zwei Spielverderber aufgetreten, die wenig Gespür für Mystisches und Kompliziertheit zeigten – gerade als ob eins und eins zwei gäben. Altersmässig lagen die beiden Referenten Johan Norberg (Jahrgang 1973) und Otto Graf Lambsdorff (1926) weit auseinander, inhaltlich aber nah beisammen. Das Thema lautete «Globalisierung: mächtige Wirtschaft – machtlose Politik?». Beide betonten, Globalisierung bedeute eine stärkere Durchlässigkeit der Grenzen, eine Ausweitung von Marktordnungen und Wettbewerbsregeln in den internationalen Raum – aber nicht getrieben durch geheimnisvolle Systemkräfte, sondern als Ergebnis nationaler politischer Entscheidungen.

Überschätzung des Schmetterlings

Norberg, Autor des Buches «In defence of global capitalism» (2001) – oder «Das kapitalistische Manifest» (2003) – und beim Stockholmer Think- Tank Timbro tätig, zitierte zuerst zwar Frankreichs Staatspräsidenten Chirac als Vertreter des geheimnisvoll-systemischen Ansatzes, der dem Flügelschlag eines Schmetterlings enorme Auswirkungen anderswo auf der Welt zutraut; rasch ging Norberg dann aber zu einer rationalen Einschätzung über und fasste die Zusammenhänge in die Wendung «Globalisierung beginnt zu Hause». Echte Globalisierung ergebe sich durch Liberalisierung und Öffnung der Märkte in den Ländern, durch Entscheide von Milliarden von Konsumenten und Investoren sowie Hunderten von Regierungen. Nichts zwinge sie zu einer Öffnung – ausser die Einsicht, dass dies ökonomisch vernünftig und der menschlichen Würde angemessen sei. Oft seien es gerade die unilateralen Vorstösse zur Öffnung von Grenzen und Märkten, welche grosse Fortschritte brächten. Den offeneren Ländern habe die Globalisierung in jüngerer Zeit riesige wirtschaftliche und gesundheitliche Verbesserungen gebracht.

Unparteiische Spielregeln als Schutz

Otto Graf Lambsdorff, Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung und früherer Spitzenpolitiker der FDP in Deutschland, entzog der These, dass die Politik im Zeitalter der Globalisierung an Macht verliere, die Wirtschaft dagegen gewinne, den Boden, eh man sich’s versah. Er skizzierte, wie die Umverteilungsinstitutionen des traditionellen Sozialstaates zunehmend unter den Druck des internationalen Wettbewerbs geraten; ein solcher Verlust an politischer Macht sei aus freiheitlicher Sicht aber positiv zu bewerten. Die Politiker würden genau da eingeengt, wo sie ohnehin wider die ordnungspolitische Vernunft handelten. Im Visier hatte er etwa die Subventionspolitik – bei der ja viele Unternehmen energisch mitmachten – oder die Wettbewerbsfeindlichkeit, die sich in der Kritik der EU-Politiker am slowakischen Steuermodell zeige.

Lambsdorff betonte, dass ein Machtverlust der Politik demnach eine Einengung des Spielraums für Staatsinterventionismus und Umverteilung bedeute. Dem vermeintlichen Verlust könne dadurch begegnet werden, dass Politiker ihre Abhängigkeit von Interessengruppen verringerten, also klare, unparteiische, nicht biegbare Spielregeln einrichteten. Dies würde zugleich verhindern, dass Unternehmen zu missbräuchlicher Macht kämen. Ganz optimistisch war Lambsdorff indessen nicht, er äusserte den Verdacht, dass viele Fehler der Nationalstaaten nun durch internationale Institutionen auf globaler Ebene wiederholt werden sollen.

NZZ 2. Dezember 2004, Seite 23

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