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Geldpolitik nach der Krise

Ernst Baltensperger29. Economic Conference

Geldpolitik nach der Krise

Ernst Baltensperger
Studienzentrum Gerzensee und Universität Bern

29. Economic Conference
Progress Foundation und American Institute for Economic Research
Zürich, 21. Oktober 2009

Die Finanzkrise, die seit Sommer 2007 die Welt in Atem hält, bewegt uns alle unvermindert: Banken, Politik, Medien, die allgemeine Öffentlichkeit, und nicht zuletzt die Wissenschaft. Jenen von uns, die sich mit den Finanzmärkten und ihrer Regulierung professionell beschäftigen, hat sie sogar einen Boom beschert: die Nachfrage nach Interviews und Referaten ist explosiv gestiegen. Ob man das als Vorteil oder als lästige Nebenwirkung sieht, ist eine Frage des persönlichen Geschmacks. Ich schwanke hier ein bisschen hin und her.

Ich will mich heute nicht mit der Finanzkrise insgesamt befassen. Das ist mir ein zu weites Feld für dieses kurze Referat. Mein Thema heute lautet „Geldpolitik nach der Krise“. Ich will mich mit den Auswirkungen der Krise auf die Geldpolitik befassen, und mit ihren Folgen für die Preisstabilität, für welche die Geldpolitik die Verantwortung trägt.

„Inflation oder Deflation?“, so wird in jüngster Zeit häufig gefragt. Was wird die Zukunft bringen? Die Antwort hat stark damit zu tun, wie die Geldpolitik der Zentralbanken auf die Krise reagiert (und reagiert hat). Ich will im ersten Teil meines Referats auf diese Frage eingehen. Ihre Beantwortung ist für die Entwicklung der Finanzmärkte und der Weltwirtschaft in den kommenden Jahren zentral.

Grundsätzlicher stellt sich darüber hinaus die Frage nach den längerfristigen Lehren, die man für die Zentralbankpolitik aus dieser Krise ziehen sollte. „Aus Krisen kann man lernen“, heisst es oft. Das ist richtig. Aber es kommt auch darauf an, dass man das Richtige lernt. Ich glaube die Gefahr ist heute nicht gering, dass man genau das Falsche lernen möchte. Ich werde mich dieser Thematik im zweiten Teil meines Vortrags zuwenden.

Inflation oder Deflation: Was bringt die Zukunft?

Mit Geldentwertung aus der Wirtschaftskrise? So lautet etwa der Titel unserer heutigen Tagung. „Die Einschätzung der Inflationsgefahr spaltet die Volkswirtschafter. Die einen erwarten eine Hyperinflation, für die anderen ist das blosse Panikmache. Es tobt ein wüster Streit.“ (Tagesanzeiger 23. 7. 2009). So nur ein Beispiel aus einer Vielzahl ähnlicher Schlagzeilen, wie sie die (bekanntlich zu etwas Dramatik und Aufregung neigenden) Medien in jüngerer Zeit gerne produziert haben. Oder droht gar Deflation, wie wieder andere meinen? „Droht Deflation als Folge der geplatzten Schuldenblase und der wirtschaftlichen Rezession, oder werden die durch die Notenbanken geschaffene hohe Liquidität … , die aufgeblähten Staatsausgaben und die explodierende Staatsverschuldung in eine heftige Inflation münden?“ (NZZ 29. 9. 2009).

Nun, gar so wild ist dieser Streit auch wieder nicht. Sehr vieles klärt sich rasch, wenn wir die Zeitperspektive nennen, von der die Rede ist:

Kurzfristig droht kaum Inflationsgefahr. Da sind sich die Experten einig. Die Überwindung der schweren Wirtschaftskrise, in der wir gegenwärtig stecken, wird noch Zeit erfordern. Grosser Teuerungsdruck kann in dieser Phase kaum entstehen. Ob allerdings die (gerade von Zentralbanken und Politik) nicht selten beschworene Deflationsgefahr mehr als ein Schreckgespenst ist, mit dem man die aggressiv expansive Geld- und Fiskalpolitik der jüngsten Zeit verkauft, ist weniger klar. Sicher: ein vorübergehendes Absinken der Teuerungsraten auf ein Niveau unter Null ist durchaus möglich und (gerade in der Schweiz) auch schon vorgekommen (etwa gerade jetzt). Das ist aber nicht weiter schlimm, solange daraus nicht ein eigentlicher Deflationsprozess entsteht, d.h. eine über längere Zeit anhaltende, von entsprechenden Erwartungen getragene Tendenz zu stets tieferen und tieferen Güterpreisen. Ich habe aber grosse Mühe zu erkennen, wie eine solche Dynamik angesichts der immensen Aufblähung der Zentralbankbilanzen und der resultierenden Überschwemmung unserer Wirtschaftssysteme mit Liquidität entstehen könnte. Dies scheint mir extrem unwahrscheinlich.

Längerfristiges Inflationspotenzial besteht angesichts der starken Liquiditätsausweitung durch die Notenbanken aber ohne Zweifel. Auch darin sind sich die meisten Auguren einig. In der Schweiz hat sich die Notenbankgeldmenge seit Ausbruch der Finanzkrise mehr als verdoppelt (auch wenn sie in den letzten Monaten wieder etwas gesunken ist). „Die Liquidität ist hoch, nicht nur im Banken- und Finanzsektor, sondern auch bei privaten Haushalten und den Unternehmen. Dies spiegelt sich im seit Jahresbeginn zunehmend raschen Wachstum der Geldaggregate.“ …. „Die Inflationsprognose zeigt, dass die expansive Geldpolitik nicht endlos weitergeführt werden kann, ohne die mittel- und langfristige Preisstabilität zu gefährden.“ (Geldpolitische Lagebeurteilung der SNB vom 17. 9. 2009.) Ähnliches gilt für andere Länder.

Entscheidend hierbei ist, ob die Zentralbanken ihren Kurs rechtzeitig korrigieren und die zur Krisenbewältigung geschaffene Liquidität wieder abschöpfen werden, und ob sie die Märkte davon überzeugen können, dass sie dies wirklich wollen und einer Politik der Preisstabilität verschrieben bleiben werden. Prinzipiell ist dies ihnen möglich, und sie versichern es auch immer wieder. Ob sie sich an dieses Skript auch wirklich halten werden, ist aber weniger klar. Ich will meine Überlegungen zu dieser Frage – die, wie Sie sehen werden, von einer gewissen Skepsis getragen sind – in vier Punkte gliedern:

  • Technisch sind die Zentralbanken ohne Zweifel dazu in der Lage. Sie besitzen das notwendige Instrumentarium dazu, die Operationen, die zur Liquiditätsausweitung verwendet worden sind, umgekehrt zur Liquiditätsabschöpfung einzusetzen. Dies gilt für „traditionelle“ genau so wie für sogenannt „unkonventionelle“ monetäre Geschäfte, welche die Zentralbanken in der jüngsten Zeit zur Liquiditätsschaffung zunehmend benutzt haben („monetary easing“, „credit easing“, d.h. direkte Käufe langfristiger und privater/kommerzieller Schuldpapiere, im Falle der Schweiz auch Devisenmarktkäufe). Allerdings ist dabei natürlich in Kauf zu nehmen, dass solche „Umkehroperationen“ sich entsprechend auf die Preisgestaltung an den betreffenden Märkten, also auf Zinssätze, Risikoprämien und Wechselkurse, auswirken werden. Hier beginnen in der Regel die Schwierigkeiten. Die Rückplatzierung von zuvor (zwecks Dämpfung von Langfristrenditen und Risikospannen) erworbenen langfristigen Staatstiteln und kommerziellen Schuldpapieren am Markt drückt unmittelbar auf deren Preise und treibt ihre Renditen in die Höhe. Fällt dies mit einem Wiederaufflammen der längerfristigen Inflationserwartungen zusammen, kann der resultierende Aufwärtsdruck erst recht kräftig ausfallen. Die Zentralbank hat dann die unangenehme Wahl, entweder den eigentlich notwendigen Kurswechsel hinauszuschieben oder einen raschen und starken Anstieg der Langfristzinsen und Risikoprämien hinzunehmen.
  • Eine nicht zu unterschätzende Schwierigkeit besteht in der Wahl des korrekten Timings. Die Zentralbanken müssen dabei eine Gratwanderung absolvieren. Die Kursstraffung soll nicht so früh erfolgen, dass eine einsetzende Konjunkturerholung gleich wieder abgewürgt wird. Sie darf aber auch nicht erst dann einsetzen, wenn sich Inflationserwartungen in den Köpfen bereits wieder festgesetzt haben. Hier liegt ein beträchtliches Fehlerpotenzial. Die Erfahrungen mit solchen Episoden zeigen, dass Zentralbanken in der Regel eher zu spät korrigieren. Ich verweise etwa auf das Beispiel der schweizerischen Geldpolitik nach der zur Bekämpfung einer immensen Frankenaufwertung erfolgten starken Geldmengenausdehnung der Jahre 1977/78. Man hatte damals die beste Absicht, diese Liquiditätsschwemme, die man als vorübergehend notwendige Akkommodierung einer massiven internationalen Nachfrageerhöhung nach Schweizerfranken betrachtete, später wieder rückgängig zu machen und hoffte so, Folgen für die Inflation vermeiden zu können. Die Abschöpfung der Überschussliquidität erfolgte 1979 und 1980 effektiv aber zu zögerlich und löste eine starke Inflationsdynamik in den nachfolgenden Jahren aus. Nach der dramatischen Krise, durch die wir eben gegangen sind, ist die Gefahr heute besonders gross, dass das Risiko einer anziehenden Inflation von Behörden und Politik eher geringer veranschlagt wird als jenes eines erneuten Konjunkturrückschlags infolge einer verfrühten geldpolitischen Wende. Für die Schweiz und den Euroraum habe ich dabei etwas mehr Zuversicht als für die USA und Grossbritannien.
  • Der politische Druck auf die Zentralbanken zugunsten einer (zu) späten geldpolitischen Wende wird gross sein. Der geldpolitische Korrekturprozess wird (möglicherweise rasch und stark) steigende Zinsniveaus und wieder zunehmende Risikoprämien (spreads) verlangen. Der Politik wird dies nicht gefallen, nicht nur aus konjunktur-, sondern auch aus finanzpolitischen Gründen: hohe Staatsschulden und weiter laufende Staatsdefizite werden den Schuldendienst vieler Länder explodieren lassen. Darüber, was das bedeutet legt man sich heute manchenorts noch nicht hinreichend Rechenschaft ab. Die Regierungen werden in einer finanzpolitischen Zwangsjacke stecken: ihr finanzpolitischer Bewegungsspielraum wird enorm eingeschränkt sein. Für die Schweiz wird es sich als grosser Vorteil erweisen, dass sie auch in der Krise nicht den Kopf verloren hat und finanz- und verschuldungspolitisch verantwortungsvoll geblieben ist. Für andere Länder, darunter die USA, kann man das weniger sagen.

    Steigende Zinsen werden also äusserst unbeliebt sein. Viele, die jetzt den Zentralbanken ihr allzu langes Festhalten an einer lockeren Geldpolitik in den Jahren vor der Krise vorwerfen und die resultierende Überschwemmung der Weltwirtschaft mit Geld als Krisenursache geisseln (und dies zu Recht), werden rasch wieder zu ihrem früheren (Irr-) Glauben zurückfnden, dass man mit „easy money“ alles heilen könne. Die Zentralbanken werden also viel Rückgrat brauchen. Ihre Unabhängigkeit ist dabei in vielen Ländern krisenbedingt angekratzt – nicht zuletzt wegen der im Rahmen der Krisenbewältigung erfolgten Vermischung monetärer und fiskalischer Massnahmen und des daraus resultierenden Mitspracheanspruchs der Politik.

  • Aufgrund der immensen Zunahme der Staatsverschuldung zahlreicher Länder, im Fall der USA auch ihrer internationalen Verschuldung, bestehen darüber hinaus ausgesprochene politische Anreize zur realen Entschuldung über die Inflation. Natürlich vermag Inflation den Schuldner real nur zu entlasten, wenn sie nicht antizipiert ist, also überraschend daher kommt – andernfalls wird sie sich in kompensatorischen Nominalzinserhöhungen respektive internationalen (Nominal-) Zinsidfferenzen äussern. Aber gerade daraus kann ein verhängnisvoller Anreiz zur Inflationsbeschleunigung und -steigerung entstehen. Hohe Staatsverschuldungen sind historisch sehr häufig auf diese Weise wieder aus der Welt geschaffen worden.

Eine sich abzeichnende internationale Tendenz zu steigender Inflation und andauernd angespannten Fiskalhaushalten in vielen Industriestaaten dürfte auch für die Schweiz ein geldpolitisch schwieriges Umfeld schaffen, auch wenn sie sich aufgrund ihrer Präferenz für Preisstabilität dieser Tendenz zu widersetzen versucht. Der Franken könnte dann leicht unter starken Aufwertungsdruck kommen, wie wir das in den vergangenen Jahrzehnten zu verschiedenen Zeiten erlebt haben. Erfahrungsgemäss ist es sehr schwierig, sich unter solchen Umständen von den internationalen Inflationstendenzen vollkommen abzuschirmen. Ihre im internationalen Vergleich solide Fiskal- und Verschuldungsssituation wird für die Schweiz andererseits ein starkes Plus sein. Sie wird in ihren wirtschaftlichen Projekten und Entscheiden diesbezüglich wesentlich weniger eingeengt sein als viel andere Staaten.

Eine neue Geldpolitik? Längerfristige Lehren aus der Krise für die Zentralbankpolitik

Eine weit verbreitete Vorstellung unserer Tage besagt, dass die Geldpolitik in Zukunft nicht mehr so eindeutig auf Inflation und Preisstabilität ausgerichtet sein dürfe, wie das in der jüngeren Vergangenheit der Fall gewesen ist, sondern dass sie stattdessen genau so auf die Entwicklung der Vermögenspreise, besonders der Immobilien- und Aktienpreise zu achten habe und die Entstehung von Blasen auf diesen Märkten verhindern müsse. In dieser Idee steckt zweifellos ein Stück Wahrheit. Sie kann aber auch leicht zu Missverständnissen Anlass geben und ist deshalb problematisch. Sie bedarf einer sorgfältigen Präzisierung.

Darüber hinaus besteht gegenwärtig eine starke Tendenz, die Rolle der Zentralbanken in der Finanzmarktaufsicht und der Überwachung und Regulierung der Banken auszudehnen. In den USA hat die Idee der Erteilung eines breit definierten Mandats für Finanzstabilität an das Federal Reserve im politischen Prozess momentan einen hohen Kurs. Ähnliches gilt auch für Deutschland. Hier liegt aber eine grosse Gefahr für die Unabhängigkeit der Zentralbank und ihrer Politik. Ich erachte ein solches Mandat daher als äusserst riskant. Man könnte (in Anlehnung an eine im Bankenkontext üblich gewordene Ausdrucksweise) von einem „toxischen Geschenk“ an die Zentralbanken sprechen,oder auch von einem Danaergeschenk. Lassen Sie mich auf diese beiden Punkte näher eingehen.

Es ist sicher richtig, dass die Zentralbanken in Zukunft mehr auf die Vermögenspreise achten müssen. Ihre Tiefzinspolitik, zusammen mit Renditehunger, fehlendem Risikobewusstsein, mangelhafter Marktransparenz und adversen Anreizen bei Kreditvergabe und –verbriefung haben nach 2001 eine Aufblähung der nationalen und internationalen Schuldenpyramide begünstigt, welche früher oder später zum Platzen kommen musste. Sie steht als Mitverursacherin der gegenwärtigen Krise daher zu Recht in der Kritik. Eine stärkere Beachtung der Vermögenspreise hätte hier einen besseren Wegweiser abgegeben.

Wir müssen uns aber sorgfältig überlegen, was das genau heisst. Wir müssen uns zunächst darüber klar werden, welches die eigentlichen Endziele der Geldpolitik sind, und welche Rolle anderen Grössen, darunter den Vermögenspreisen, als Informations- oder Indikatorvariablen im geldpolitischen Prozess dabei zukommt.

Endziele der Geldpolitik sind die (an den Güterpreisen, normalerweise den Konsumentenpreisen gemessene) Preisstabilität und, subsidiär dazu, eine ausgeglichene Konjunktur. Zu den eigentlichen, finalen Zielen der Zentralbankpolitik gehört ausserdem die Stabilität des Finanzsektors im Sinne der Sicherung der Liquiditätsversorgung und des Zahlungssystems. Nicht zuletzt dazu sind Zentralbanken historisch gesehen gegründet worden. Zu diesen Endzielen der Zentralbankpolitik, die so auch im Nationalbankgesetz festgelegt sind, noch einige detailliertere Bemerkungen:

Das Nebeneinander von Preisstabilität und ausgeglichener Konjunktur als Zielen der Geldpolitik ist bekanntlich heikel und erfordert von den Zentralbanken in gewissen Situationen eine Gratwanderung. Die Rangordnung der beiden Ziele bedarf deshalb einer Klärung, wie sie im schweizerischen NBG von 2004 (und in den meisten vergleichbaren ausländischen Zentralbankmandaten neueren Datums) denn auch explizit vorgenommen wird. Dabei wird eine Hierarchie der Zielsetzungen bestimmt. Es ist naheliegend und logisch, die langfristige Verankerung des Preisniveaus, und damit die Gewährleistung der Preisstabilität, als Hauptaufgabe der Geldpolitik festzulegen, also jene Grösse zum Hauptziel der Geldpolitik zu machen, welche diese auf die Dauer wirklich kontrollieren kann – eine Aufgabe überdies, welche nur die Zentralbank, und keine andere wirtschaftspolitische Instanz, wahrnehmen kann. Die Gewährleistung der Preisstabilität ist in diesem Sinn die ureigene, prioritäre Aufgabe der Geldpolitik. Die Sorge für eine ausgeglichene Konjunktur muss subsidiär dazu sein. Die Vermeidung von Inflations- und Deflationsprozessen, und damit die Verhinderung des Entstehens entsprechender Erwartungshaltungen, gibt der Geldpolitik aber gleichzeitig den grösstmöglichen Spielraum für die Erfüllung dieses Zusatzauftrags.

In der Vergangenheit verfolgten Zentralbanken (und nannten Zentralbankmandate) häufig eine Mehrzahl von Zielen, darunter Preisstabilität, Vollbeschäftigung, Wachstum, einen stabilen Wechselkurs sowie eine ausgeglichene Zahlungsbilanz. In den vergangenen Jahrzehnten ist das Bewusstsein gewachsen, dass die gleichzeitige Festlegung einer Vielzahl von (miteinander häufig unvereinbaren) Zielen für die Geldpolitik eine Überforderung bedeutet. Der geldpolitische Auftrag der Zentralbank wird damit im Grunde genommen beliebig und inhaltsleer. Gibt man etwa der Zentralbank zusätzlich zur Preisstabilität ein langfristiges Beschäftigungs- und Outputziel vor, so verlangt man etwas von ihr, das sie gar nicht leisten kann, und hindert sie zugleich daran, das zu tun, was sie wirklich kann. Das Ergebnis ist häufig, dass weder das eine noch das andere Ziel erreicht wird.

Auch die Finanzstabilität als Ziel der Zentralbankpolitik bedarf einer Präzisierung. Die Zentralbanken haben eine klare Verantwortung für die Stabilität des Finanzsektors. Nicht zuletzt dazu wurden sie in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in praktisch allen Ländern geschaffen (darunter nach jahrzehntelanger Diskussion auch die SNB im Jahr 1907). Aber diese Rolle muss sich auf die Sicherung einer adäquaten Liquiditätsversorgung und die Gewährleistung der Effizienz und Sicherheit des Zahlungssystems beschränken.

Eingriffe fiskalischer Art gehören nicht dazu. Die Rettung insolventer Finanzinstitute mit Staatsgeldern und Staatsgarantien ist fiskalischer Natur und gehört in die Verantwortung des Staats oder einer von ihm beauftragten separaten Überwachungsbehörde. Dasselbe gilt konsequenterweise auch für Massnahmen und Regulierungen präventiver Art, welche das Eintreten solcher Ereignisse verhindern sollen.

Geldpolitik und Vermögenspreise

Vermögenspreise, gemessen etwa an einem Index der Aktienpreise oder der Immobilienbewertungen, gehören nicht zu den finalen Zielen der Geldpolitik, und sollten nicht zu ihnen gehören. Man könnte allenfalls darüber diskutieren, ob sie als Indikatoren der Preise von Zukunftsgütern mit einem gewissen Gewicht in einen umfassenderen Index des Güterpreisniveaus eingehen sollten. Diese in der Vergangenheit gelegentlich diskutierte Frage hat aber bisher nie zu schlüssigen Antworten geführt. Ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Güterpreisen und Vermögenspreisen als Zielgrössen der Geldpolitik macht hingegen keinerlei Sinn, genau so wenig, wie das für unabhängige Ziele bezüglich einzelner Güterkomponenten, etwa jener der Nahrungsmittel oder des Wohnens, der Fall wäre. Die Preise von Vermögensobjekten sind letzlich relative Preise, deren Kontrolle die Geldpolitik nicht anzustreben hat. Sie soll sich auf die langfristige Kontrolle und Verankerung der Kaufkraft, also des absoluten Niveaus der Endgüterpreise, beschränken. Tut sie das erfolgreich, verhindert sie grundsätzlich auch eine bloss nominale Aufblähung der V ermögensbewertungen.

Vermögenspreise können aber wichtige Informationsvariablen für die Geldpolitik sein. Übertreibungen im Immobilien- oder Aktienmarkt sind grundsätzlich jederzeit möglich. Sie können Indiz für eine falsch ausgerichtete Geldpolitik sein. Sie können zu Entwicklungen führen, die letztlich die Endziele der Zentralbankpolitik (Preisstabilität und Konjunktur, Finanzstabilität) gefährden – wir haben es eben schmerzhaft erlebt. Wenn sie dies tun, oder die begründete Vermutung besteht, dass sie es tun könnten, muss die Geldpolitik reagieren. Die Entstehung von Finanzmarktblasen, welche früher oder später zum Platzen kommen, kann als geldpolitisches Warnsignal dienen. Einerseits ist es möglich, dass die übermässige Liquidität, die hinter der Blasenbildung steht, irgendwann direkt in die Gütermärkte fliesst und dort für plötzlichen Preisauftrieb sorgt. Andererseits kann das Platzen der Blase zur Erschütterung der Finanzmärkte, Verschlechterung der Bankbilanzen und Bedrohung der Systemstabilität führen. Daraus ergibt sich dann zwangsläufig eine extreme Ausrichtung der Geldpolitik (und der Wirtschaftspolitik generell) auf die Krisenbekämpfung, mit möglichen Langfristfolgen, von denen wir heute hier sprechen.

Die Zentralbank darf und soll deshalb die Vermögenspreise als Informationsgrössen beobachten und in ihr geldpolitisches Entscheidungskalkül aufnehmen, genau so wie sie das mit anderen Indikatoren, etwa der Geldmenge, der Inflationsprognose, den Wechselkursen oder der Outputlücke, tut. Sie darf und soll solche Indikatoren soweit benutzen, wie sie über ein Gefährdungspotenzial bezüglich der eigentlichen Endziele Auskunft zu geben vermögen. Sie darf sie aber nicht in den Rang selbständiger, finaler Ziele der Geldpolitk erheben, also im gleichen Sinn wie die Güterpreise und die an ihnen gemessene Teuerung zum Ziel ihrer Politik machen. Der Versuch etwa, die Vermögenspreise genau so wie die Güterpreise zu stabilisieren wäre fatal. Er würde zurück zu einer verhängnisvollen Überforderung der Geldpolitik mit multiplen, miteinander potenziell inkonsistenten Zielvorgaben führen, wie wir sie mit sehr negativen Folgen (in anderem Kontext) aus der Vergangenheit kennen.

Natürlich bleibt es für die Zentralbank (genau wie für andere Marktbeobachter) schwierig, die Entwicklung der Vermögenspreise richtig zu verstehen und entstehende Blasen rechtzeitig zu diagnostizieren. Aber es ist genau so schwierig, andere Informationsvariablen, welche die Zentralbank beobachtet und benutzt – seien es die Output- und Produktionsentwicklung, die Zinssätze und Wechselkurse, oder die Geldaggregate – korrekt zu interpretieren. Die Lage ist diesbezüglich ganz analog. Mit dieser Herausforderung muss die Geldpolitik leben, daran führt kein Weg vorbei.

Ein umfassendes Mandat der Zentralbank für Finanzstabilität?

Sollen die Zentralbanken ein umfassendes Mandat für die Finanzstabilität und die Überwachung der Finanzmarktakteure erhalten? Die Zuteilung der Verantwortung in diesem Bereich an die Zentralbank auf der einen Seite und an eine andere Überwachungsbehörde (oder gar mehrere andere Überwachungsbehörden, wie in den USA) auf der anderen Seite ist in verschiedenen Ländern unterschiedlich geregelt. In der Schweiz kennen wir (wie in einer Reihe anderer Staaten) die Aufteilung zwischen SNB und FINMA. Im Zuge der gegenwärtigen Krise ist insbesondere in den USA eine Diskussion in Gang gekommen, welche die Zuständigkeit der Zentralbank für die Finanzmarktüberwachung stark ausdehnen und dem Federal Reserve ein umfassendes Mandat dazu erteilen möchte. Das Federal Reserve hat auf diesen Vorschlag seiner Machterweiterung positiv reagiert (auch wenn es in der jüngsten Zeit diese Position wieder etwas relativiert hat). In Deutschland haben die neuen Regierungspartner (CDU und FDP) im Rahmen ihrer Koalitionsverhandlungen eben vereinbart, die Bankaufsicht künftig ganz der Bundesbank zuzuweisen. Es fragt sich, ob diese Entscheidung weise ist.

Die Zentralbank besitzt ohne Zweifel ein Verantwortung für die Finanzstabilität. Diese sollte sich meines Erachtens aber auf die Gewährleistung einer angemessenen Liquiditätsversorgung und eines sicheren und funktionsfähigen Zahlungssystems beschränken. Diese Aufgabe ist untrennbar mit der Regelung des Geldumlaufs und der Geldpolitik der Zentralbank verbunden; sie muss daher zwangsläufig bei dieser angesiedelt sein. Die zentrale Funktion der Zentralbank, die sich daraus ergibt, ist jene eines Lenders of Last Resort, also eines Agenten, welcher dem Bankensystem in Zeiten von Krise und Liquiditätsknappheit Mittel zuführt und so eine angemessene Versorgung der Wirtschaft mit Zahlungsmitteln sicherstellt. Die Liquiditätshilfe der Zentralbank sollte sich dabei gemäss traditioneller Vorstellung auf (temporär) illiquide, aber grundsätzlich solvente Institutionen beschränken.

Diese Unterscheidung ist zugegebenermassen im konkreten Fall schwierig zu treffen. Illiquidität kann Notverkäufe, Verluste und Insolvenz bedingen. Insolvenz umgekehrt kann rasch zu Vertrauensverlust, Refinanzierungsproblemen und Illiquidität führen. Die Unterscheidung ist gleichwohl als Prinzip von grösster Bedeutung, denn sie besagt, dass es um eine Reaktion auf Imperfektionen des Geld- und Kapitalmarktes geht und dass es nicht Sinn und Zweck dieser Hilfe sein kann, grundsätzlich nicht mehr lebensfähige Institutionen künstlich am Leben zu halten. Vor allem aber besagt sie, dass sich die Hilfe klar auf die Zufuhr von Liquidität beschränkt. Die Zufuhr von Eigenkapital an angeschlagene Institutionen ist demgegenüber etwas ganz anderes. Liquidität kann die Zentralbank im Prinzip jederzeit in beliebiger Menge schaffen (allerdings auf Dauer natürlich nicht ohne Folgen für Preisniveau und Inflation). Eigenkapital hingegen kann sie (und der Staat) ohne Rückgriff auf die Mittel des Steuerzahlers nicht selber kreieren.

Von der Funktion eines Lenders of Last Resort klar zu trennen sind daher Massnahmen und Entscheide, welche mit der Liquidierung, Sanierung und Restrukturierung insolventer oder potentiell insolventer Finanzinstitute zu tun haben. Die Rettung insolventer Banken mit Steuergeldern und Staatsgarantien fällt offensichtlich in diesen Bereich. Sie hat eine starke fiskalische Komponente und betrifft den Verantwortungsbereich des Staats. Massnahmen und Regulierungen präventiver Art, welche der Vermeidung des Eintritts solcher Schadensfälle und der Notwendigkeit entsprechender Schadensbegrenzungen dienen, können nicht davon getrennt werden und sind im gleichen Kontext zu sehen. Es spricht viel dafür, dass der Staat diese Aufgaben einer separaten, selbständigen Regulierungs- und Überwachungsbehörde überträgt, welche unabhängig vom politischen Alltagsgeschehen und seinen kurzfristigen Zwängen ein langfristig optimales Überwachungsregime definiert und verwirklicht. Zur Ausübung dieses Mandats muss diese Behörde mit Unabhängigkeit und entsprechenden Eingriffsbefugnissen ausgestattet sein.

Grundsätzlich ist es denkbar, der Zentralbank im Doppelmandat auch diese Aufgabe zuzuteilen, zusätzlich zu ihrem traditionellen geldpolitischen Auftrag. Dies erscheint mir allerdings gefährlich. Die potentiellen fiskalischen Konsequenzen der Entscheide und Massnahmen einer solchen Behörde machen sie stark anfällig für politische Druck- und Beeinflussungsversuche – und rechtfertigen in einem gewissen Sinn eine solche Einflussnahme auch. Ein Doppelmandat der Zentralbank würde unweigerlich eine Politisierung der Zentralbankpolitik, und letzlich eine Beschneidung der in den letzte Jahrzehnten mühsam erworbenen und gefestigten Zentralbankunabhängigkeit zur Folge haben. Für die Geldpolitik und die Gewährleistung der Preisstabilität wäre dies kein gutes Omen. Eine solche Zuordnung der Kompetenzen könnte sich daher auf die Dauer stark kontraproduktiv auswirken.

Vielleicht noch ein Wort zum UBS-Massnahmenpaket und der Rolle der Nationalbank in diesem. Diese Massnahmen waren notwendig. Sie waren ausserdem – im Gegensatz zu vergleichbaren Aktionen zahlreicher anderer Länder, einschliesslich der USA – gut geplant und geschickt implementiert, und aus diesem Grund auch rasch wirksam. Hätte man nichts unternommen, wäre angesichts der nationalen und internationalen Bedeutung der UBS die Stabilität des schweizerischen und des internationalen Finanzsektors schwerwiegend beschädigt worden. Ich kritisiere auch nicht die SNB für ihre aktive Rolle in dieser Aktion. Die SNB war praktisch gezwungen, diese Rolle zu übernehmen, weil Politik und Finanzüberwachungsbehörde bisher für einen solchen Fall völlig inadäquat vorbereitet und ausgerüstet waren. Die Lehre daraus darf aber nicht sein, dass die SNB auf Dauer mit dieser zusätzlichen Aufgabe betreut werden sollte. Im Gegenteil, es muss bei einer einmaligen Ausnahmesituation bleiben. Die Lehre muss sein, dass die Finanzüberwachunsgsbehörde durch eine intelligente Reform der Finanzmarktregulierung mit den Instrumenten und Mitteln ausgestattet wird, die es ihr erlauben, mit den Folgen solcher Ereignisse effizient und tatkräftig umzugehen und, vor allem, über die Setzung angemessener Anreize die Finanzmarktakteure so zu disziplinieren, dass die Wahrscheinlichkeit für die Wiederholung solcher Geschehnisse markant eingedämmt wird. Wie das zu machen ist, kann nicht mehr Gegenstand dieses Vortrags sein. Es wäre das Thema für ein weiteres Referat.

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