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Freiheit als Ziel

(NZZ – INTERNATIONAL – Mittwoch, 17. März 2010, Nr. 63, Seite 9)

Robert E. Hunter und Ulrich Weisser zur Zukunft der Nato

Die Nato wird 2010 bedeutsame Weichenstellungen für die Zukunft vornehmen müssen. Das sicherheitspolitische Umfeld hat sich stark verändert. Wie die Allianz auf die Herausforderungen eingehen soll, ist noch Gegenstand intensiver Debatten.

Jürg Dedial • Dass die Nato vor vielfältigeren und komplexeren Herausforderungen steht als je zuvor, ist kaum umstritten. Von einer ursprünglich atlantischen Allianz ist sie längst zu einer global engagierten Organisation geworden. Entsprechend haben sich die Sicherheitsbegriffe gewandelt, die dem Bündnis Planung und Handeln diktieren. Irritierend ist, dass dabei oft der tiefere Daseinszweck aus dem Auge verloren zu gehen scheint. Gerade das Engagement der Nato in Afghanistan lässt dies immer wieder offensichtlich werden. Wozu dient die Präsenz amerikanischer und europäischer Soldaten im Hindukusch? Steht dort westliche Sicherheit tatsächlich auf dem Spiel?

Europa muss mehr tun

Der amerikanische Sicherheitsexperte Robert E. Hunter, unter anderem früherer Botschafter seines Landes bei der Nato, hat diese Frage ins Zentrum eines Vortrages gestellt, den er am Dienstagabend vor der Progress Foundation in Zürich gehalten hat. Hunter kommt zum Schluss, dass es noch wie zur Zeit des Kalten Krieges um die Bewahrung westlicher Freiheit geht. Eines der grossen Probleme bestehe aber darin, dass die Wahrnehmung der Bedrohungen nicht mehr so unmittelbar sei wie damals. Dies stelle den nordatlantischen Konsens immer mehr in Frage, und wenn sich das Bündnis bis Ende dieses Jahres eine neue Strategie geben wolle, müsse Einigkeit in Bezug auf die Bedrohungsanalyse erreicht werden.

Hunter entwarf sehr differenzierte Lösungsansätze. Er akzeptiere durchaus asymmetrische Zielsetzungen, die auch psychologisch zu erklären seien: die Amerikaner mit der militärischen Hardware, die europäischen Partner mit zivilem Einsatz zugunsten wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung. Dies bedingt seiner Meinung nach allerdings ein wesentlich umfassenderes Engagement Europas, was am besten mit einer engen Zusammenarbeit zwischen Nato und EU zu bewerkstelligen sei. Hunter nennt dies ein «single package», also einen integralen Lösungsansatz. Nur so, hob er hervor, könne langfristig eine Identität der Interessen gewahrt bleiben.

Der Bock als Gärtner?

Weit weniger stringent argumentierte der ehemalige deutsche Vizeadmiral Ulrich Weisser, der vor der Progress Foundation vor allem eine enge Kooperation zwischen den USA, Europa und Russland zur Sicherung der Freiheit beschwor. Weisser, bekannt als Advokat einer Einbindung Russlands in neue Sicherheitsarrangements, liess freilich offen, wie dies konkret geschehen soll. Im Falle Irans, aber auch des Nahen Ostens oder gewisser Probleme in Asien blendete Weisser aus, dass kein geringer Teil der Sicherheitsdefizite auf die wenig kooperative Haltung Moskaus oder Pekings zurückzuführen ist. Integrale Lösungen wären gut. Aber man muss darauf achten, dass man dabei nicht den Bock zum Gärtner macht.

Auch zu der Frage, wie das Bündnis die Anforderungen erfüllen soll, denen es nach Auffassung Weissers nachkommen müsste, blieb die Antwort offen. Eines der Kernprobleme der Allianz, die krassen Unterschiede bei der Lastenverteilung zwischen den USA und den europäischen Partnern, wird sich bei einer Ausdehnung der Aufgaben des Bündnisses noch verschärfen. Europa wird achtgeben müssen, dass dieses Missverhältnis nicht zu einem chronischen Leiden der Nato wird.

NZZ 17. März 2010, Seite 9

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