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Müssen Liberale optimistisch sein?

(NZZ – Sachbücher – Donnerstag, 10. Januar 2019, Seite 40)

Von Wilhelm Röpke geht eine andauernde Faszination aus. Dies auch deshalb, weil seine intellektuelle Verortung schwerfällt. Nicht nur Liberale erkennen im schillernden Ökonomen des 20. Jahrhunderts einen Gleichgesinnten, sondern auch Konservative. Von Gerhard Schwarz

Wilhelm Röpke (1899–1966)

Ist er nun ein Liberaler oder ein Konservativer? Oder ist er gar beides, ein liberaler Konservativer oder ein konservativer Liberaler? Diese Schlüsselfragen durchziehen den von Patricia Commun und Stefan Kolev herausgegebenen Sammelband über Wilhelm Röpke (1899–1966). Auch nach der Lektüre der siebzehn Beiträge und trotz dem Untertitel, der den bedeutenden deutschsprachigen Intellektuellen als liberalen politischen Ökonomen und konservativen Sozialphilosophen verortet, fällt die Antwort nicht eindeutig aus. Einerseits ist Röpkes Leben und Wirken zu facettenreich; Kritiker würden wohl nicht zu Unrecht anfügen, dass zudem sein Werk zu unpräzis und widersprüchlich sei. Anderseits ist das Buch nicht hagiografisch angelegt und präsentiert unterschiedliche Einschätzungen – wohlwollende wie kritische – des bis Ende der 1950er Jahre neben Friedrich August von Hayek wichtigsten Vertreters des Neoliberalismus.

Kämpferisches Naturell

Etwas kurz gerät die Würdigung des Muts von Röpke, den einst sogar Ludwig von Mises, einer seiner liberalen Gegenspieler, in einem Nachruf auf ihn hervorgehoben hatte. Immerhin weist Richard Ebeling (South Carolina) in seinem Beitrag darauf hin, dass der 33-Jährige die Machtergreifung Hitlers eine Woche später in einem Vortrag eine Revolte gegen Menschlichkeit, Freiheit und Vernunft genannt hatte, sich gegen den Ausschluss jüdischer Professoren und Studenten von den Universitäten gewandt hatte, in der Folge als «Volksfeind» seine Professur in Marburg verlor und nach einem unangenehmen Verhör sich und seine Familie in Istanbul in Sicherheit brachte. Nach seinem Wechsel nach Genf 1937 schlug er während des Kriegs dreimal ein Angebot für eine Professur in den USA aus, obwohl im Falle einer deutschen Invasion der Schweiz, die keineswegs ausgeschlossen werden konnte, Gefängnis und Tod gedroht hätten.

Das kämpferische Naturell zeigt sich auch daran, dass Röpke sich als öffentlicher Intellektueller gerierte und in unzähligen Aufsätzen (nicht zuletzt in der NZZ), Vorträgen und Büchern, einem regen Briefverkehr mit prägenden Geistern seiner Zeit wie mit gewöhnlichen Bürgern sowie in der Politikberatung mit Leidenschaft und Wortgewalt das vertrat, was ihm wahr und richtig schien. Dieses Naturell macht, verbunden mit einer ausprägt normativen Denkweise, Röpkes «dunkle Seite» (Nils Goldschmidt / Julian Dörr, Siegen), etwa die rassistische Rechtfertigung der Apartheid oder seine Absage an die Gleichberechtigung der Frauen, sowohl deutlich sichtbar als auch schwer verdaubar. Die Aussagen wirken, selbst wenn sie sich aus dem Zeitgeist heraus verstehen lassen, heute im besten Fall antiquiert, im schlechtesten reaktionär. Man muss diese Flecken im Bild des bedeutenden Liberalen nicht noch grösser machen, indem man ihm die schweizerische Agrarpolitik und die übersteigerte Zelebrierung des Sonderfalls Schweiz anlastet. Mit dieser steilen These überschätzt Andrea Franc (Basel) den Einfluss Röpkes. Zudem hängt sie ihm fälschlicherweise das Etikett des Interventionismus und eines illiberalen Konservatismus an – dies mit dem Hinweis auf seinen Adepten Gerhard Winterberger, den langjährigen Direktor des Vororts, der zugunsten einer stabilen Währung den Agrarprotektionismus gestützt hatte, sowie mit der Erwähnung einer positiven Rede Christoph Blochers auf Röpke.

Ein Freund der Tradition

Röpke kritisierte Übertreibungen des Liberalismus im 19. Jahrhundert wie Rationalismus, Individualismus und Ökonomismus. Damit spricht er immer noch vielen Menschen aus dem Herzen. Demgegenüber war ihm, wie Hayek, das Gewachsene, Bewährte, mithin die Tradition, wichtig. Aus der gleichen Grundhaltung heraus tönt Röpke an vielen Stellen wie ein «Grüner». Auch sein Lob des Mittelstandes und seine Kritik an der Grösse, am Kult des Kolossalen, passt in dieses Bild. Der überzeugte Freihändler und überzeugte Anti-Nationalist äusserte sich entsprechend kritisch gegenüber einer von oben forcierten Integration Europas, in der er einen Nationalismus auf höherer Ebene sah.

Doch die Einordnung Röpkes als Konservativer hat vor allem mit seiner nostalgischen Verklärung der vorindustriellen Zeiten bzw. mit seiner vehementen Kritik an der Massengesellschaft zu tun, an der Urbanisierung, Säkularisierung und Industrialisierung, aber auch an der modernen Kunst oder am Kino. Jean Solchany (Lyon) schreibt, Röpke habe sich schon 1958 mehr als Konservativen denn als Liberalen gesehen, und er nennt Röpkes Vision der Zukunft eine «Retro-Utopia». Dennoch hält er den schillernden Ökonomen nicht für illiberal. Er sei zwar konservativer als Milton Friedman, aber in den grossen Fragen, der Bekämpfung des Sozialismus, des Kommunismus, des Etatismus und des wachsenden Staates, seien sich die Liberalen unterschiedlichster Prägung einig. Hayek übertreibe in seiner Rede «Warum ich kein Konservativer bin», geschrieben als Reaktion auf Röpkes Sympathie für den amerikanischen konservativen Denker Russell Kirk, die Unterschiede zwischen Liberalen und Konservativen. Diese seien weniger wichtig als die Ähnlichkeiten.

Für Alan S. Kahan (Versailles) ist Röpke ohnehin kein Konservativer oder gar Reaktionär. In seinem Beitrag, einem der interessantesten, entwickelt er die These, Röpke sei ein liberaler antimodernistischer Kulturpessimist gewesen. Unter Hinweis auf John Stuart Mill, Alexis de Tocqueville und seinen Kronzeugen Jacob Burckhardt stellt er sich gegen die gängige Behauptung, der Liberalismus sei fast zwingend mit Optimismus und Fortschrittsglaube verbunden. Burckhardt habe einen Liberalismus der Angst vertreten, Angst vor dem modernen Staat, der Demokratie und der Globalisierung, doch diese Angst vor der Moderne habe ihn nicht zum Konservativen gemacht. Bei Röpke sei es ähnlich. Er habe gesehen, dass man den von ihm diagnostizierten Niedergang der westlichen Kultur mit den Werkzeugen der Ökonomen nicht verstehen und beheben könne. Zwar habe er den freien Markt als Grundlage und Teil der Freiheit verstanden, aber er habe in diesem Markt nicht wie Optimisten wie Adam Smith oder Hayek eine «spontane Ordnung» (diesen Begriff verwendete er lange vor Hayek) gesehen, die automatisch zum Wohlergehen der Menschen führe. Der Markt sei für ihn zugleich auch keine Schöpfung des Staates. Er basiere vielmehr auf vorgängigen moralischen Grundlagen, die erhalten werden müssten, zum Teil mit Hilfe des Staates, zum Teil durch gesellschaftlichen und spirituellen Zement, also das, was gemäss seinem berühmtesten Buchtitel «jenseits von Angebot und Nachfrage» liegt.

Mehr als nur ein Ökonom

Auch Marcelo Resico und Stefano Solari (Buenos Aires / Padua) tun Röpke nicht als simplen Konservativen ab. Er stelle den Menschen in den Fokus, arbeite interdisziplinär und versuche, die komplexen Interdependenzen unserer Gesellschaft zu berücksichtigen. Zwar sei sein humanistisches Menschenbild statisch und metaphysisch, aber er habe sich mit vielen Fragen beschäftigt, die Querdenker wie Josef Schumpeter, Karl William Kapp, Leopold Kohr, Ivan Illich und Amitai Etzioni ebenfalls umgetrieben hätten, und er habe originelle, tiefschürfende Antworten gefunden. Für ihn seien Wettbewerbsmärkte und eine «gesunde» Gesellschaft sich gegenseitig verstärkende Elemente eines stabilen Ganzen.

Alles in allem erinnert doch die Mehrheit der Einschätzungen in dem dichten und breiten Buch an das Diktum Hayeks, dass ein Ökonom, der nichts anderes als Ökonom sei, niemals ein guter Ökonom sein könne. In diesem Sinne war Wilhelm Röpke ein liberaler Ökonom erster Güte.


Patricia Commun, Stefan Kolev (Hrsg.): Wilhelm Röpke (1899–1966).

A Liberal Political Econo- mist and Conservative Social Philosopher. Springer-Verlag, Heidelberg 2018. 272 S., Fr. 126.50.

NZZ Donnerstag, 10. Januar 2019, Seite 40

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