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Gerechte und ungerechte Gleichheit

(NZZ – Wirtschaft – Schwarz und Wirz – Mittwoch, 26. Januar 2022, Seite 23)

GERHARD SCHWARZ

In der Auseinandersetzung um wirtschafts- und gesellschaftspolitische Fragen spielen Worte und Begriffe oft eine wenig sichtbare, aber entscheidende Rolle. Es zählt zu den aus liberaler Sicht verheerendsten Entwicklungen, dass es den Staats- und Umverteilungsgläubigen gelungen ist, Gerechtigkeit und Gleichheit als zwei Seiten der gleichen Medaille darzustellen. Selbst in konservativen und liberalen Köpfen hat sich das so festgesetzt, zum einen, weil Gerechtigkeit ja tatsächlich mit einer Gleichheitsvermutung einhergeht, zum anderen, weil man sich ungern dem Vorwurf der Ungerechtigkeit aussetzt. Daher schwimmt man lieber mit dem Strom, als dass man sich gegen egalitäre Tendenzen stemmt.

Wo liegen die Irrungen dieser Gleichsetzung? Erstens ist nur Gerechtigkeit ein Wert per se, nicht Gleichheit. Für Aristoteles überragte die Gerechtigkeit alle anderen Tugenden, bei Thomas von Aquin ist sie eine der Kardinaltugenden. Dagegen ist Gleichheit kein eigenständiger Wert. So strebt niemand danach, dass alle Menschen gleich krank oder gleich arm sind. Gleichheit ist höchstens ein sekundärer Wert und nur in Verbindung mit positiven Dingen sinnhaft.

Zweitens ist die Gleichheit vor dem Gesetz in der Tat eine Anforderung der Gerechtigkeit (und eine Bedingung individueller Freiheit in einem Staat). Der Anspruch auf Gleichheit des Wohlstands, also Gleichheit der Ergebnisse des wirtschaftlichen Tuns, ist es nicht, denn er lässt sich nur auf totalitäre Art erfüllen. Daher ist die absichtliche oder gedankenlose Ausweitung der Gleichheitsforderung von den elementaren Menschenrechten auf soziale und ökonomische Ansprüche unverantwortlich.

Drittens ist in vielerlei Hinsicht mehr Ungleichheit gerecht und mehr Gleichheit ungerecht. Das kommt in der berühmten Formel, man müsse Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln, zum Ausdruck. Menschen unterscheiden sich in vielen Dingen, in ihren Fähigkeiten, ihrem Willen und ihrer Bereitschaft zur Leistung, ihren Interessen und ihren Vorstellungen von einem guten Leben. Wollte man erreichen, dass es allen ähnlich gut geht, verlangte dies, wie Friedrich August von Hayek in «Die Verfassung der Freiheit» dargelegt hat, eine massive Ungleichbehandlung der Menschen. Wenn man das nicht will, wenn man die unterschiedlichen Begabungen und Leistungen nicht staatlich ausgleicht, landet man bei der Leistungsgerechtigkeit.

Schliesslich ist, viertens, der wohl verhängnisvollste Irrtum der Gleichheitsideologie der Wunsch, den Zufall auszuschliessen. Der Zufall ist nämlich weder gerecht noch ungerecht. Gewiss sollte eine liberale und humane Gesellschaft für jene sorgen, die vom Schicksal benachteiligt sind. Aber ein Staat, der darüber hinausgeht, der jene, die im Leben Glück haben, zu sehr zur Kasse bittet, ist nicht gerecht, sondern egalitär, und gefährdet jenen Fortschritt der Zivilisation, der sich stets aus einer Mischung aus Zufall, Können, Einsatz und Risiko nährt.


Gerhard Schwarz war Leiter der NZZ-Wirtschaftsredaktion und ist heute Präsident der Progress Foundation.

(NZZ – Meinung & Debatte – Montag, 14. Februar 2022, Seite 20)

Gerechtigkeit und Gleichheit

Die kritische Auseinandersetzung von Gerhard Schwarz mit der falschen, aber zeitgeistig weitverbreiteten Gleichsetzung von Gerechtigkeit und Gleichheit verdient vorbehaltlose Zustimmung; ebenso sein Hinweis auf die zersetzende Wirkung von manipulativ eingesetzten Worten und Begriffen (NZZ 26. 1. 22). Die Analyse von Schwarz wäre noch mit der Bemerkung zu ergänzen, dass Ungleichheit der zentrale Treiber jeder evolutionären Entwicklung ist; Ungleichheit ist die Ur-Triebfeder aller Pflanzen und Tiere. Sie steckt schon im Begriff «survival of the fittest», denn offensichtlich ist der «Fittere» nicht gleich wie der weniger «Fitte».

Wenn alle Organismen auf Gleichheit aus wären, gäbe es keine Entwicklung, keine Evolution, würde wohl auch unsere Spezies Homo sapiens sapiens gar nicht existieren; wir alle wären noch immer identische Einzeller im Urschleim. Ob das für den Planeten Erde besser wäre oder nicht, spielt dabei keine Rolle.

Das Prinzip der Ungleichheit gehört einfach zur Natur. Dies kann man anerkennen, ohne deshalb im Namen einer demokratisch nicht legitimierten (Schein-)Gerechtigkeit zum ausbeuterischen Sozialdarwinisten oder Gewinnmaximierer abgestempelt zu werden.

Bernard Bachmann, Zürich

(NZZ – Meinung & Debatte – Montag, 21. Februar 2022, Seite 18)

Freiheit und Gleichheit

In seiner lesenswerten Kolumne (NZZ 26. 1. 22) kritisiert Gerhard Schwarz aus liberaler Sicht die Gleichsetzung von Gerechtigkeit und Gleichheit, wie die «Umverteilungsgläubigen» sie handhabten.

Gerechtigkeit beruht stets auf einer subtilen Ausbalancierung von Freiheit und Gleichheit. Diese Spannung beherrschte im letzten Jahrhundert die ideologische Kontroverse zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Doch sie prägt noch immer die Schlagzeilen der Medien, jüngst in der Debatte über das Coronavirus. Wer die Restriktionen für übertrieben hielt, pochte auf die (individuelle) Freiheit; wer sie dagegen noch verschärfen wollte, forderte (generelle) Gleichheit. Zur Debatte steht dabei letztlich stets der «Gesellschaftsvertrag».

Zu viel Freiheit fördert das Recht des Stärkeren und führt im schlimmsten Fall zur Anarchie; zu viel Gleichheit endet in der Diktatur. Die richtige «Mischung» muss immer wieder ausgehandelt werden. Für die soziale Marktwirtschaft unseres Landes gibt es bis heute jedenfalls keine bessere Alternative.

Lebenswerte Freiheit ist ohne Mitverantwortung nicht zu haben. In diesem wichtigen Punkt hat die Gleichheit den Vorrang – was bedeutet, dass sie alle betrifft. Viele Menschen hat der Wohlstand bequem gemacht, denn sie wollen zwar persönliche Freiheit, doch beim eigenen Engagement, bei der Leistung hapert es.

Ihnen muss wieder bewusstgemacht werden, dass jede Freiheit etwas kostet, materiell wie immateriell. Hier liegt auch der Grundfehler des Sozialismus klassischer Prägung. Unter der Herrschaft einer schrankenlosen Gleichheit wird der Mensch unmündig und träg.

Jürg Nef, Zürich

NZZ 26. Januar 2022, Seite 23

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