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Studie zu Frauen und Karriere: schockierende studentische Zensurmentalität

Seit eine Studie gezeigt hat, dass hinter unterschiedlichen Karriereverläufen von Frauen und Männern auch unterschiedliche Rollenverständnisse stecken, ist Feuer im Dach. Es geht um viel, nämlich die Freiheit der Meinungsäusserung, auch, ja gerade dann, wenn die vertretene Meinung überraschend, konträr und provokativ ist.

Gerhard Schwarz, Nzz.ch, 30.05.2023

Wo sich die Wege von Studentinnen und Studenten kreuzen: Lichthof der Universität Zürich, aufgenommen im Jahr 1966.
Gassmann / Photopress-Archiv

Gemäss einer stillschweigenden Arbeitsteilung mit meiner Kollegin Claudia Wirz äussere ich mich kaum zu Themen wie Gender und Gleichstellung. Aus besonderem Anlass mache ich heute eine – allerdings nur scheinbare – Ausnahme.

Anstoss ist die Studie «How to explain the Leaky Pipeline» der Professorinnen Margit Osterloh und Katja Rost sowie zweier Mitarbeiterinnen. Sie kommt auf der Basis einer Umfrage an der ETH und der Universität Zürich zu für viele «weiblich gelesene Studierende» provozierenden Ergebnissen.

Zu ihnen gehört, dass Frauen und Männer an den Universitäten im Durchschnitt hinsichtlich Karriere und Familie unterschiedliche Präferenzen haben, also das tradierte Rollenverständnis nicht so stark infrage stellen wie erwartet, und dass die Frauen an den untersuchten Universitäten nicht diskriminiert werden.

Absehbare Zuspitzung

Die reisserischen Schlagzeilen in den Medien lauteten allerdings anders und überall ähnlich: «Die meisten Studentinnen wollen lieber einen erfolgreichen Mann als selbst Karriere machen.» Daran waren die Autorinnen nicht unschuldig, weil sie die Studie in einem noch unfertigen Stadium nur einer Zeitung zur Verfügung gestellt hatten, mit deren Hang zur Zuspitzung sie rechnen mussten.

Der Shitstorm, der folgte, zielte aber nicht auf die Übertreibungen der Artikel. Er bringt zum Ausdruck, dass die Kritikerinnen (es sind mehrheitlich Frauen) die Ergebnisse nicht goutieren. Das ist legitim. Dann sollte man die Studie mit sachlichen Argumenten und Fakten konfrontieren. Sie fehlen fast durchgehend.

Triefend vor Ideologie

Immerhin zaghafte Ansätze dazu gibt es in einem Aufsatz der «HistorikerInnen-Zeitschrift etü», der sonst aber vor Ideologie trieft und ein Weltbild jenseits der Heteronormativität, des Patriarchats und des Kapitalismus fordert. Zudem wird die Studie als pseudowissenschaftlich abgekanzelt und den Autorinnen Unwissenschaftlichkeit sowie – fast im gleichen Atemzug – positivistische, quantitative, nur vermeintlich objektive Wissenschaftlichkeit vorgeworfen.

Noch schockierender ist eine vom Verband der Studierenden der Universität Zürich (VSUZH) gestartete Petition, die fordert, die Universitätsleitung solle sich von dem die Debatte auslösenden Artikel und den diversen Interviews der Autorinnen distanzieren und sich inhaltlich mit der Studie auseinandersetzen. Und die Gleichstellungskommission solle von der anstehenden Wiederwahl von Rost zu deren Präsidentin absehen.

Was die Aufgabe des Rektorats wäre

Hier kommt eine Zensurmentalität zum Ausdruck, die jede freiheitliche, offene Gesellschaft zerstören muss. Wo käme eine Universitätsleitung hin, wenn sie alle Studien und Medienauftritte von Professorinnen kommentieren und korrigieren müsste, die der Studentenschaft nicht in den Kram passen? Aufgabe des Rektorats wäre das Gegenteil, nämlich die Verteidigung der Freiheit der Meinungsäusserung, der Forschung und der Lehre.

Ausserdem ist die Forderung Ausdruck einer Radikalisierung, denn gerade Rost hat (wie auch Osterloh) seit vielen Jahren unglaublich viel für Frauenförderung getan. Allerdings hat sie sich zugleich um die Gleichstellung aller Geschlechter bemüht. Das scheint groteskerweise nicht überall gut anzukommen.

Gerhard Schwarz war Leiter der NZZ-Wirtschaftsredaktion und ist heute Präsident der Progress Foundation.

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