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Gratis im Stau am Gotthard – oder zahlen für freie Fahrt?

Gebühren für die Benutzung von Strassentunnels gibt es auf der ganzen Welt. In der Schweiz stossen sie dagegen auf staatspolitische Bedenken – zumal am Gotthard. Das ist zu kurz gedacht. Indem Gebühren den Verkehr besser kanalisieren, machen sie die Verbindungen offener, als wenn diese durch Staus verstopft werden.

Gerhard Schwarz, Nzz.ch, 27.06.2023

Eine Gebühr könnte helfen, das Verkehrsaufkommen am Gotthard besser zu verteilen.

Mit schöner Regelmässigkeit führen Vorschläge für eine Tunnelgebühr am Gotthard jeweils zu staatspolitischen Gefühlswallungen. Der Zusammenhalt des Landes und die Gleichwertigkeit der Regionen werden in Stellung gebracht – mit Recht. Beidem gilt es in einem kulturell und sprachlich so vielfältigen Land besonders Sorge zu tragen.

Populistische Übertreibung

Doch wenn es heisst, es handle sich hier um eine Eintrittsgebühr für das Tessin oder aus dem Tessin für die übrige Schweiz oder um Strassenzölle innerhalb der Schweiz, so ist dieser Rückgriff auf längst zurückliegende Jahrhunderte nichts anderes als eine aus der Zeit gefallene populistische Übertreibung.

Man sollte einen solchen Vorschlag heute ganz anders sehen, nämlich als milde, sinnvolle Form von Mobility-Pricing. Dabei geht es um zwei Erkenntnisse der Ökonomie. Die eine lautet, dass staatliche Leistungen möglichst von denen bezahlt werden sollten, die sie nutzen, und nicht von allen anderen. So entsteht Kostenwahrheit.

Bei Hotels und Flügen klappt es auch

Die andere lautet, dass ein Anstieg der Preise die effizienteste Form ist, mit Knappheiten umzugehen. Mit zeitlich abgestuften Preisen kann man für eine gleichmässige Auslastung sorgen und muss daher die Kapazität von Infrastrukturen nicht auf Spitzenbelastungen auslegen. Solches Dynamic Pricing kennt man vom Flugverkehr oder von Saisontarifen in der Hotellerie und akzeptiert es dort ohne Murren.

Das Tessin war ja nicht weniger Teil der Schweiz, als es noch keinen Gotthard-Bahntunnel gab, und es war genauso Teil der Schweiz, als es keinen Strassentunnel gab. Damals war der Weg von Nord nach Süd und umgekehrt zeitraubend und beschwerlich, im Winter oft gar unmöglich. Demgegenüber brachte der Strassentunnel den Nutzern eine starke Reduktion des Zeit- und des Benzinverbrauchs und Befahrbarkeit bei fast allen Strassenverhältnissen.

Was spricht dagegen, dass sie diesen Nutzen zumindest teilweise abgelten? Ist es fairer, wenn sie den Nutzen haben und alle anderen via Steuern die Kosten tragen? Bei einem Autoverlad wie am Lötschberg scheint sich ja auch niemand über eine solche Abschöpfung aufzuregen.

Vor allem aber werden die Vorteile des Strassentunnels durch die zunehmenden Staus zunichtegemacht. Das Tessin ist dann fast abgeschnitten. Lange Umwege oder der Weg über den Pass sind die wenig überzeugende Alternative.

Natürlich könnte man theoretisch die Kapazität immer weiter ausbauen bzw. zumindest in der Spitze vier Spuren nutzen und den – allerdings eben auch kostenpflichtigen – Autoverlad forcieren. Aber ob das genügen würde?

Mobility-Pricing bremst Zusammenhalt nicht – im Gegenteil

Die marktwirtschaftliche Lösung des Mobility-Pricing steht dem staatspolitischen Anliegen des nationalen Zusammenhalts nicht entgegen, im Gegenteil: Sie erlaubt es, die Gebühren so zu gestalten, dass der Verkehr jederzeit fliesst und somit die Landesteile nicht nur auf dem Papier, sondern de facto immer gut verbunden bleiben.

Wer durch den Gotthard fährt, soll zahlen. Dafür kann er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tatsächlich durch den Gotthard fahren, statt – wenn auch gratis – im Stau steckenzubleiben. Eine Gebühr am Gotthard ist Ausdruck der Wertschätzung für das Tessin.

Gerhard Schwarz war Leiter der NZZ-Wirtschaftsredaktion und ist heute Präsident der Progress Foundation.

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