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Die Gefahr von ESG: Klima über alles – auch in den Unternehmen

Unternehmen stehen unter Druck, neben dem Gewinnziel viele gesellschaftliche Ziele zu verfolgen. Und sie beugen sich diesem Druck. Wenn die dadurch entstehenden Zielkonflikte nicht offen geregelt werden, droht der Kampf gegen den Klimawandel durch die Hintertür zum dominanten Unternehmensziel zu werden.

Gerhard Schwarz, Nzz.ch, 11.07.2023

Bei ESG ist ein Abwägen der unterschiedlichen Aspekte wie Umwelt, Soziales oder Unternehmensführung oft schwierig.

Für eine von mir mitorganisierte Veranstaltung habe ich mich mit ESG beschäftigt. ESG steht für die Ziele Umwelt (Environment), Gesellschaft (Social) und saubere Unternehmensführung (Governance). Das Thema ist in Mode. Selbst die NZZ ist voll mit Artikeln dazu. Wirklich neu ist das Thema aber nicht. Es gibt Parallelen zu den sogenannten Sozialbilanzen der 1970er Jahre – nur dass ESG mehr Sympathie und Aufmerksamkeit geniesst. Das ist angesichts zum Teil ähnlicher Fragwürdigkeiten und Schwächen erstaunlich.

Es fängt damit an, dass niemand genau weiss, was ESG konkret ist. Je nachdem, ob damit Unternehmensleitungen, Konsumentinnen, Investoren oder Staaten adressiert werden und um welche Branche es geht, ist etwas anderes gemeint.

Dann ist da die uferlose Breite des Begriffs. Viele Adepten setzen ESG mit Nachhaltigkeit gleich, wie sie mit den 17 Nachhaltigkeitszielen bzw. 169 Unterzielen der Uno umschrieben wird. Bei den Sozialbilanzen wurde einst die Fülle an «Einzelinformationen über verschiedene Dimensionen des gesellschaftsrelevanten Unternehmungshandelns, die in verschiedensten Messeinheiten erfasst werden», beklagt (Meinolf Dierkes). Daran hat sich in fünfzig Jahren wenig geändert.

Fördern oder diskriminieren Quoten?

Ferner ist unklar, was den Zielen dient. Ist Kernenergie nachhaltig, da sie den CO2-Ausstoss reduzieren hilft, oder ist sie wegen der Risiken des Betriebs und der Endlagerung des Teufels? Ist Rüstungsindustrie friedenssichernd oder die Quelle von Kriegen? Fördern Quoten für nichtweisse Bewerber die Chancengleichheit, oder diskriminieren sie Personen weisser Hautfarbe?

Schliesslich ist das Messproblem ungelöst. Was sind gute Massstäbe für die Ziele, und wie bringt man bei der Vielfalt von Zielen alle Indikatoren unter einen Hut?

Am erschreckendsten ist, wie unbekümmert ESG-Begeisterte mit der unvermeidlichen Antinomie der Ziele umgehen. Zum Teil behaupten sie, zwischen Gewinnorientierung und ESG-Zielen gebe es gar keinen Konflikt. Wer nach ESG-Kriterien anlege, könne sogar mit besserer Performance rechnen. Wenn das stimmte, fragt man sich, warum die angeblich profitgierige Wirtschaft nicht längst auf ESG abgefahren ist.

«Pragmatisch abwägen» ist einfach gesagt

Eine andere Strategie besteht darin, die böse Gewinnmaximierung den guten ESG-Zielen gegenüberzustellen. Doch wie sieht es bei Institutionen wie etwa der Schweizerischen Nationalbank aus, wo man das Ziel der Geldwertstabilität kaum diffamieren kann?

Dann lautet die Ausflucht, man müsse pragmatisch abwägen. Die gleiche Antwort erhält man, wenn man Konflikte zwischen E, S und G aufbringt. Gemeint ist mit «Pragmatismus» in der Regel, dass es unausgesprochen ein dominantes Ziel gibt, dem alles untergeordnet werden soll: die Bremsung des Klimawandels.

Die berechtigte Kritik, ESG sei ein Marketinginstrument, übersieht leider diese grössere Gefahr. Wer mit ESG-Begeisterten spricht, spürt oft die Motivation, aus missionarischer Überzeugung die absolute Priorität des Kampfs gegen den Klimawandel in die Unternehmens- und Finanzwelt einzuführen. Einer freien Gesellschaft mit vielen unterschiedlichen Prioritäten kann eine solche Verabsolutierung nur abträglich sein.

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