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Amtszeitbeschränkungen: ein sinnvolles Ablaufdatum für die Macht

Ob in Politik oder Unternehmen, in Universitäten und staatlicher Verwaltung, in Kulturinstitutionen und Medien – ein zu langes, fast unbegrenztes Verharren in Führungsfunktionen hat viele Nachteile. Amtszeitbeschränkungen sind zwar kein Allheilmittel, aber sie weisen viele Vorteile auf und sind den in Europa erstaunlich breit akzeptierten, aber diskriminierenden Altersguillotinen vorzuziehen.

Gerhard Schwarz, Nzz.ch, 19.09.2023

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel war 16 Jahre im Amt.

Als ich unter dem Titel «Zwölf Jahre sind genug» Anfang Oktober 2021 nach sechzehn Jahren Angela Merkel und dem verheerenden Wahlergebnis der CDU/CSU für eine Amtszeitbeschränkung plädierte, lautete der Tenor der mehrheitlich deutschen Reaktionen: Zwölf Jahre sind zu viel. Zum Teil wurden gar maximal vier Jahre gefordert. Das zeigt die Unzufriedenheit.

Im Schweizer Bundesrat sind zwölf Jahre dagegen häufig. Doch jenseits der Frage nach der «richtigen» Amtszeit verstehe ich Angela Merkel ganz generell als symptomatisch für Abnützungserscheinungen einer zu langen Herrschaft, weltweit und überall, auch in Behörden und Unternehmen, Universitäten, Kulturinstitutionen oder Medien.

Abwahlen sind selten

Man kann argumentieren, Wähler oder Aktionäre hätten die Möglichkeit, die Exponenten abzuwählen. In der Praxis stimmt das für den Bundesrat nicht; seit 1848 gab es nur vier Abwahlen bzw. Nicht-Wiederwahlen. Auch sonst stehen der Hang zum Bekannten, und sei es noch so abgenützt, die Aura des Amtes und manchmal der Erfolg (wie bei einem bald 30 Jahre amtierenden Schweizer Verwaltungsratspräsidenten) Abwahlen entgegen.

Angesichts dieser Tendenz zum Beharren wären durch die Wahlkörper, also Volk, Parlament, Bundesrat (etwa für die Nationalbank), Delegierten- oder Generalversammlung, erlassene Amtszeitbeschränkungen sinnvolle und wirkmächtige Selbstbindungen – wenn man ihnen nicht durch Ausnahmeregeln (wie im Fall SP / Cédric Wermuth) die Zähne zieht.

Hilfreicher Automatismus

Amtszeitbeschränkungen halten, erstens, die Misere in Grenzen, wenn man, aus welchen Gründen immer, schlechtes bzw. mit der Zeit schlechter werdendes Personal gewählt hat und in der Konkordanzdemokratie nicht die politische Kraft oder in der Wirtschaft nicht die Courage aufbringt, sich von diesem wieder zu trennen. Ein Automatismus kann da helfen.

Zweitens verhindern Ablaufdaten, dass sich Menschen an der Macht mit der Zeit zu sehr zu Sonnenkönigen mit geringer Kritikfähigkeit und einem Hofstaat von Abnickern entwickeln. Drittens sind sie ein Gegengift gegen den Gewohnheitstrott «Das haben wir immer – oder: noch nie – so gemacht». Neue Persönlichkeiten begünstigen die Innovation.

Viertens erleichtern Ablaufdaten die Planung der Nachfolge. Man wird weniger von Rücktritten oder Krankheiten überrumpelt und muss eine Nachfolge nicht so diskret angehen, dass Amtsinhaber und Öffentlichkeit ja nichts davon erfahren. Fünftens schafft ein Anti-Sesselkleber-Automatismus Chancen für nachrückende Talente.

Passivität am Ende der Amtszeit?

Diese Vorteile haben einen Preis. Gegen Ende einer nicht verlängerbaren Amtszeit kann Passivität einkehren, das Bemühen um einen nächsten Job kann zu fragwürdigen Interessenkollisionen führen, und man verliert gelegentlich jemanden, der besonders gut und erfolgreich ist (der dann allerdings vielleicht in einer neuen Aufgabe wieder reüssiert).

Aber alles in allem weisen Amtszeitbeschränkungen für Führungskräfte in allen Bereichen der Gesellschaft mehr Vor- als Nachteile auf. Sie sind in vielen Situationen den in Europa abgesehen von der Politik fast unumstrittenen, aber diskriminierenden Altersguillotinen vorzuziehen.

Gerhard Schwarz war Leiter der NZZ-Wirtschaftsredaktion und ist heute Präsident der Progress Foundation.

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