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Sind sie die Wirtschaftselite von morgen? Ein Dokumentarfilm zeigt HSG-Studenten beim «Strampeln auf hohem Niveau»

Der Regisseur Piet Baumgartner begleitet fünf junge Menschen, die das weltbeste Masterprogramm für internationales Management absolvieren. «The Driven Ones» lässt sie nicht vollständig, aber doch zu schlecht aussehen.

Gerhard Schwarz, Nzz.ch, 02.10.2023

«Inside HSG»? Der Film, der am Zurich Film Festival läuft, zeigt nur einen kleinen Ausschnitt der Uni-Wirklichkeit.
Filmcoopi

Schon der Titel dieses Dokumentarfilms setzt den Ton: «The Driven Ones», die Getriebenen. Das ist kein Kompliment. Er suggeriert, dass die fünf im Film porträtierten Frauen und Männer, Feifei, Sara, Tobias, Frederic und David, alle Getriebene sind: getrieben vom Ehrgeiz, von den Erwartungen ihres privaten Umfelds oder vom kapitalistischen System.

Und für den Regisseur Piet Baumgartner stehen die jungen Leute, alle zwischen Jahrgang 1990 und Jahrgang 1994, stellvertretend für die Wirtschaftselite von morgen. Denn sie, die der Film über bemerkenswert lange sieben Jahre hinweg begleitet, absolvieren am Anfang das gemäss dem Financial-Times-Ranking beste Masterprogramm für internationales Management der Welt, den Studiengang Strategy and International Management an der Universität St. Gallen (HSG).

Nur schon die Zulassung zu diesem ist äusserst selektiv. Danach folgt der Film, der am Zurich Film Festival uraufgeführt wurde, seinen Protagonisten beim Einstieg ins Berufsleben. Sara und David gründen eigene Unternehmen, die anderen drei werden von einigen der bekanntesten Beratungsfirmen eingestellt.

Beeindruckende Offenheit

Der Film selbst ist differenzierter als der Titel. In starken, wohltuend ruhigen Bildern zeigt er das Leben von fünf jungen Menschen, die aus verschiedenen Ländern und Kulturräumen kommen, mit unterschiedlicher Ausstrahlung, manche sehr sympathisch, manche weniger. Er zeigt ihre Schwächen und Stärken, ihre Erfolge und Niederlagen, zeigt ihre Zweifel, ihre Ängste, ihre Selbstkritik, auch ihre Selbstsicherheit und das «Privileg des Strampelns auf hohem Niveau», wie es die aus China stammende und in Deutschland aufgewachsene Feifei formuliert.

Möglich ist das nur dank der ungewöhnlichen, beeindruckenden Offenheit der fünf «Hauptdarsteller» sowie der Bereitschaft von deren Eltern, deren Freundinnen und Freunden und gelegentlich deren Chefs, hier im eigentlichen Sinn des Wortes mitzuspielen. Man fragt sich, ob die Offenheit einfach nur Ausdruck grosser Ehrlichkeit und Selbstreflexion ist oder manchmal doch eher auch einer gewissen Naivität entspringt beziehungsweise einer Blindheit für die Fragwürdigkeit manches Tuns und mancher Werthaltung.
Die Studenten stehen unter grossem Druck. Szenenbild aus «The Driven Ones».

Die Studenten stehen unter grossem Druck. Szenenbild aus «The Driven Ones».
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An vielen Stellen im Film wird Bullshitting, wie es Tobias ohne grosse Skepsis nennt, thematisiert oder sichtbar, also das Reden ohne Bezug zu Fakten und Erfahrungen. Der Film ist durchsetzt von ziemlich inhaltsleeren Schlagwörtern, die von Dozenten, Studenten, Beratern und Chefs im Brustton der Überzeugung vorgetragen werden.

In dieser Darstellung, dass Präsentationen gut ausschauen müssen, aber oft wenig Substanz haben, liegt der Film sicher nicht ganz falsch. Er macht aber an einer anderen Stelle auch deutlich, dass Management und Unternehmertum nicht nur Phrasendreschen ist, sondern scharfes Rechnen unter Bedingungen der Knappheit. Eine etwas genervte Sara empfindet diese Realität dann als «Haifischbecken».

Niemand übernimmt Verantwortung

Die Rolle der Berater in der Wirtschaft wird mehrfach kritisch angesprochen – zu Recht. Es ist offensichtlich, dass es dabei oft, wohl zu oft, auch um das Abschieben oder zumindest das Teilen von Verantwortung geht. Das Ergebnis ist dann, dass niemand die Verantwortung trägt, die Unternehmensführung nicht, weil sie ja dem Rat des Beraters folgt, der Berater nicht, weil er ja nur berät und nicht entscheidet.

Was die fünf jungen Menschen erleben, ist im Gegensatz zum Tenor des Films weder typisch HSG noch typisch Wirtschaftselite. Unter grossem Druck stehen auch Menschen aus ganz anderen Schichten. Beziehungen gehen nicht nur in Brüche, weil die Karriere ein Paar von HSG-Absolventen geografisch auseinanderreisst oder einer von beiden zu viel arbeitet. Das kann auch dem Schreiner passieren, der einen Betrieb aufbaut und sich zu wenig um seine Partnerin oder die Familie kümmert. Und der Zeitdruck, den Feifeis Vater als in der Beratungsbranche ganz besonders schlimm taxiert, begleitet auch die Journalistin, die vielleicht nur halb so viel verdient wie die Beraterin.

Man kann es als Qualität des Films sehen, dass er allgemein Menschliches darstellt, aber so ist die Botschaft wohl nicht gemeint. Auch die Gleichsetzung des einen Studiengangs mit der ganzen HSG, die – ob absichtlich oder unabsichtlich – im Auge des Betrachters stattfindet, verzerrt die Realität.

Die Universität St. Gallen ist vielschichtiger, als man aufgrund des Filmes meinen könnte.
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Zu wenig neutral

An der HSG studieren viele junge Menschen, die weniger Macher sind, sondern eher Intellektuelle, und viele gehen nach dem Studium in die staatliche Verwaltung, auch in soziale oder kulturelle Betriebe oder schlicht in ganz normale Unternehmen, grosse, aber auch kleinere und mittlere. Die HSG ist insgesamt viel breiter und vielschichtiger, als man aufgrund des Filmes meinen könnte. Das «Inside HSG», mit dem der Film propagiert wird, gilt einem kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit.

Bin ich als Absolvent der HSG, allerdings in einer Zeit, in der sie sich noch bescheiden Hochschule nannte, und als jahrzehntelanges Mitglied des Stiftungsrates des jährlichen Management-Symposiums an ebendieser HSG zu sensibel? Ich glaube nicht. Schliesslich habe ich selbst vor Jahrzehnten in der NZZ einen kritischen Artikel über meine Alma Mater geschrieben, der einzelne Professoren damals zur Weissglut trieb. Aber trotz der Offenheit der Protagonisten, trotz einiger Differenziertheit ist «The Driven Ones» zu wenig neutral.

Der Film hadert mit der Marktwirtschaft, mit der Welt der Unternehmen, mit jenen, die mit grossem Ehrgeiz nach oben streben, und mit der HSG, die diese Leute ausbildet. Er lässt sie nicht vollständig, aber doch ein wenig schlecht aussehen. Und er tut das nicht explizit, sondern unterschwellig. Dagegen kann man sich meist nur schwer wehren.

Gerhard Schwarz ist Präsident der Progress Foundation.

THE DRIVEN ONES – Official Trailer (OV/df)

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