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Soll der Staat als Inkassobüro für Kirchensteuern dienen?

Mit schöner Regelmässigkeit poppt in politischen Debatten die Forderung nach einer Trennung von Kirche und Staat auf – so auch jetzt, nach den jüngsten Skandalmeldungen aus der katholischen Kirche. Aus liberaler Sicht ist sowohl die obligatorische Kirchensteuer und deren Inkasso durch den Staat als auch bzw. erst recht die Kirchensteuerpflicht der Unternehmen ein ausgesprochenes Ärgernis.

Gerhard Schwarz, Nzz.ch, 03.10.2023

Zur Finanzierung der Kirchen tragen auch die Firmen bei.

Die Bevölkerung hat mit Empörung, ja Wut auf die Ergebnisse einer Studie reagiert, die die riesige Zahl von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche der Schweiz seit Mitte des letzten Jahrhunderts dokumentiert. Viele Menschen verlassen die Kirche, noch mehr bleiben zwar, fühlen sich aber heimatlos.

Die Identifikation mit einer Institution, in der menschenverachtende Übergriffe nicht aufgearbeitet, sondern vertuscht wurden, fällt schwer. Die Skandale lassen auch die Frage nach dem «richtigen» Verhältnis von Staat und Kirche wieder hochkochen. Es war schon öfter Gegenstand von Initiativen.

Nicht alle Kantone machen mit

Umstritten ist, dass fast in der ganzen Schweiz die beiden grossen christlichen Kirchen sowie da und dort die christkatholische Kirche und die israelitische Kultusgemeinde zur Erhebung einer Kirchensteuer ermächtigt sind und der Staat für sie das Inkasso betreibt; nur in Genf, Neuenburg und im Tessin ist die Kirchensteuer fakultativ. Und noch mehr infrage gestellt wird die in 18 von 26 Kantonen, darunter in Zürich, nicht aber in Genf, Basel-Stadt, Aargau oder Schaffhausen geltende Kirchensteuerpflicht der juristischen Personen.

Aus liberaler Sicht spricht alles für die Trennung von Kirche und Staat. Religion ist Privatsache, die Finanzierung obliegt den Religionsgemeinschaften und darf nicht mit dem staatlichen Gewaltmonopol durchgesetzt werden, keine Religion sollte vom Staat bevorzugt werden, und wer konfessionslos oder andersgläubig ist, sollte nicht die Tätigkeit von Kirchen, denen er nicht angehört oder die er ablehnt, finanzieren müssen.

Abgeltung ja, aber transparent

Die vielen wichtigen sozialen und kulturellen Leistungen, die die Kirchen für die Allgemeinheit erbringen, sollten natürlich durch den Staat abgegolten werden – so transparent wie möglich. Die Bevölkerung sah es bisher anders. Sie lehnte 1980 mit 80 Prozent eine Trennung von Kirche und Staat ab. Der Volksinitiative der Jungfreisinnigen im Kanton Zürich zur Abschaffung der Kirchensteuer von juristischen Personen ging es kaum besser. In der Volksabstimmung vom 18. Mai 2014 erreichte sie einen Ja-Stimmenanteil von 28 Prozent.

Dabei hat die Kirchensteuerpflicht juristischer Personen in einem liberalen Staat nichts zu suchen. Unter Berufung auf die Glaubensfreiheit muss eine natürliche Person keine Kirchensteuer zahlen, wenn sie nicht einer der erwähnten Kirchen angehört. Die gleiche Person muss aber als Aktionär, ja selbst als Inhaber einer Einzelfirma, direkt (oder indirekt, etwa in der Waadt) Steuern an Religionsgemeinschaften zahlen, die sie vielleicht ablehnt. Das ist stossend. Das Bundesgericht argumentiert, Unternehmen hätten kein Gewissen und könnten sich daher auch nicht auf die Gewissensfreiheit berufen.

Doch die wirtschaftlich Berechtigten, die letztlich die Kirchensteuer bezahlen, haben sehr wohl ein Gewissen. Trotzdem werden sie heute dazu gezwungen, über ihre Firma die Kirchen zu finanzieren. Dass eben diese Kirchen sich in politischen Debatten und Abstimmungskämpfen oft wenig zimperlich gegen die Wirtschaft und gegen die Unternehmen engagieren, macht die Sachlage geradezu grotesk. Vielleicht wäre nun tatsächlich der Moment für eine Korrektur.

Gerhard Schwarz war Leiter der NZZ-Wirtschaftsredaktion und ist heute Präsident der Progress Foundation.

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