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Kriege? Klima? Weltuntergang? Liberale sind nicht optimistisch, aber zuversichtlich

Angesichts der Tragödien, welche die Welt durchlebt, versinken viele Menschen in Zukunftspessimismus. Die nüchterne Zuversicht, dass zumindest die Möglichkeit besteht, dass sich die Welt positiv entwickelt, gibt bessere Orientierung. Sie ist eine Absage an reaktionäres ebenso wie an revolutionäres Handeln.

Gerhard Schwarz, Nzz.ch, 19.03.2024

Wie zuversichtlich können wir für die Zukunft unserer Kinder sein? (Familie in einem Sturm in Texas, 2023.)
Imago

Während Jahrzehnten vertrat ich im Brustton der Überzeugung die These, Liberale seien Optimisten. Das stimmt insofern, als sie in einem halb gefüllten Glas nicht in erster Linie ein halbleeres sehen. Dennoch bedarf die These der Nachbesserung. Die schwierigen Zeiten und vertieftes Nachdenken haben mich dazu geführt.

Klar ist: Wenn man unter Optimismus versteht, immer mit einem guten oder gar dem bestmöglichen Ausgang zu rechnen, ist diese Haltung unrealistisch, genauso wie die andere, pessimistische, immer mit dem Schlechtesten zu rechnen. Und Liberale sind Realisten. Das kommt in ihrem Menschenbild zum Ausdruck. Sie halten Menschen weder für Engel noch für Bestien, wissen aber, dass sie beides sein können.

Nie perfekt und nie totalitär

Deswegen legen sie ihren gesellschaftlichen Ideen weder geläuterte neue Menschen noch durch Gebote und Verbote zum Wohlverhalten gezwungene Menschen zugrunde, sondern durchschnittliche Menschen mit guten und schlechten Seiten, und versuchen, deren Zusammenleben mit viel Freiheit und mit Anreizen zu gestalten. Das Ergebnis ist zwar nie perfekt, aber weder utopisch noch totalitär.

Besser als Optimismus trifft die Haltung der Liberalen angesichts von Krisen und Kriegen der Begriff der Zuversicht. Zuversicht bedeutet nicht, Probleme zu negieren, zu verdrängen oder schönzureden – was angesichts der Weltlage auch schwierig wäre. Sie wurzelt aber in der Erfahrung, dass die Zukunft, und mag die Gegenwart noch so düster scheinen, immer ungewiss und offen ist und dass daher eine gute Entwicklung wenn vielleicht nicht unbedingt wahrscheinlich, so zumindest doch möglich ist.

Die Zukunft ist selten die Fortschreibung der Gegenwart, sie birgt früher oder später meist Überraschungen, gute und schlechte. Liberale glauben deshalb nicht an die Gerichtetheit der Geschichte, die Fortschrittsgläubige wie Karl Marx oder Auguste Comte ebenso vertraten wie Fortschrittskritiker von Jean-Jacques Rousseau bis zu Oswald Spengler. Sie haben ein Grundvertrauen in die Evolution und in die spontane Ordnung. Da haben Heilsversprechen und Patentrezepte genauso wenig einen Platz wie Narrative des Niedergangs und Untergangsprophezeiungen. Mit ihnen sollten sich Liberale nie gemeinmachen.

Wider die apokalyptische Angst

Liberale beziehen ihre politische Kraft also weder aus naiven, unrealistischen Utopien noch aus jener «Es ist fünf vor zwölf»-Hysterie, die vor allem einen Teil der jungen Generation auszeichnet, von der sich aber auch viele Ältere anstecken lassen. Aus solch apokalyptischer Angst gibt es nur schlechte «Auswege»: kopflose Panik, hoffnungslose Resignation oder, da die Sintflut vermeintlich ohnehin unabwendbar ist, Flucht in die Gegenwart.

Liberale halten dem eine nicht blauäugige, sondern nüchterne Zuversicht entgegen. Der langfristige Optimismus, wie ich ihn nenne, wonach es à la longue zwar nicht mit Gewissheit gut werden wird, aber zumindest immer gut werden kann, ist ein Absage an revolutionäres ebenso wie reaktionäres Denken. Er ermuntert vielmehr zum beharrlichen, reformorientierten Arbeiten an der Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft – damit die Zuversicht nicht Lügen gestraft wird.

Gerhard Schwarz war Leiter der NZZ-Wirtschaftsredaktion und ist heute Präsident der Progress Foundation.
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