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Der Staat und ich

(Nebelspalter)

Was ist eine gute Demokratie? Wann droht sie zu erodieren und wie geht es weiter nach dem Rahmenabkommen? Darüber haben der Historiker Oliver Zimmer und der Publizist Beat Kappeler in Zürich öffentlich nachgedacht.

Von Claudia Wirz

Die Demokratie ist fragil. Passt man nicht auf, droht sie zu erodieren.

Die «Progress Foundation» hätte den Zeitpunkt nicht besser wählen können. Nicht nur, dass die Lockerungen der Corona-Massnahmen just auf den 31. Mai einen zwar immer noch redimensionierten, aber gleichwohl realen Anlass mit echten Menschen möglich machte. Auch mit dem Thema trafen die Gastgeber so kurz nach dem Ende des Rahmenvertrags ins Schwarze.

Wie weiter mit der Schweiz?

Es wurde nämlich über die «Souveränität von unten» diskutiert und über das Staatsverständnis der Schweizer, welches mit demjenigen im internationalen Umfeld nicht immer deckungsgleich ist. Kein Wunder, bot die Veranstaltung reichlich Raum für eine Nachlese zu den Ereignissen von letzter Woche, aber auch für einen Blick in die Zukunft im Sinne der Frage, wie es nun weitergeht mit der Schweiz, ihrer Souveränität und ihrer direkten Demokratie.

Um die Begriffe zu klären, erörterte der in Oxford lehrende Schweizer Historiker Oliver Zimmer zuerst das Wesen der Demokratie. Eine Demokratie ist für ihn ein Instrument der Machtteilung und der Sinngebung, ein ständiger Prozess zwischen Staat und Bürger, der sich auf Augenhöhe abspielen muss.

Doch Demokratien sind fragil. Je nach Verhalten der Eliten und ihren besonderen Möglichkeiten zur Einflussnahme kann die Demokratie erodieren, können sich Staat und Behörden verselbständigen. Etwa dann, wenn die Elite im Sinne einer «Herrschaft der Wissenden» die Bürger für inkompetent hält und die Dinge lieber von Technokraten oder Richtern regeln lässt, statt im demokratischen Prozess darüber entscheiden zu lassen. Instrument dieser Umgehung der Demokratie sind nicht selten internationale Organisationen.

Was für eine Elite braucht also eine liberale Demokratie? Eine, sagte Zimmer, die ihre eigenen Grenzen kennt und eine «aufgeklärte Skepsis» gegenüber sich selber pflegt. Es braucht also nicht den vermeintlich allwissenden Kümmerer von oben, sondern Politiker, die in der Lage sind, ihre eigene Position zu hinterfragen und den Andersdenkenden nicht als Feind der Wahrheit betrachten.

Demokratische Unfreiheit

Der Publizist Beat Kappeler durchleuchtete sodann die Anatomie der parlamentarischen Demokratie samt ihren Eliten und zeichnete eine «ernüchternde Skizze» davon. In der parlamentarischen Demokratie, sagte er, entstehe starker Druck von oben nach unten. Der einzelne Parlamentarier sei nicht frei, Entscheide würden vielmehr in Parteistäben und staatlichen Gremien gefällt.

In der Schweiz ist das anders. Die Möglichkeiten des Kumulierens und Panaschierens bei Wahlen etwa gibt den Wählern einen deutlich stärkeren Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlaments und stärkt somit die Position des gewählten Parlamentariers. Die «föderale Abtemperierung» gewährleistet eine ausgeglichene Machtverteilung und schliesslich sorgt die mit den Volksrechten einhergehende Vernehmlassungsdemokratie für die Einbindung breiter Bevölkerungsteile in die politischen Prozesse.

Die Gefahr der Verrechtlichung

Angesichts dieser unterschiedlichen Ansichten darüber, was eine Demokratie ist, scheint es logisch, dass das Rahmenabkommen scheitern musste. Man hätte sich mit dem Abkommen einen «ganz massiven Souveränitätsverzicht» auferlegt, sagte Beat Kappeler in der Podiumsdiskussion. Seit langem leide die Schweiz an der Spaltung in der EU-Frage, sagte Gastgeber Gerhard Schwarz von der «Progress Foundation». Mit dem Ende des Rahmenabkommens sei nun nach sieben langen Jahren «ein Moment der Ehrlichkeit gekommen».

Wie es nun nach diesem Moment weitergeht, wird man sehen. Weltuntergangsängste waren auf dem Podium jedenfalls nicht wahrzunehmen, ganz im Gegenteil. Eine Weile lang ein bisschen unsympathisch zu sein, müsse man aushalten, sagte Schwarz. Und schliesslich gibt es auch noch eine Welt jenseits der EU.

Doch die Gefahr einer Erosion der Demokratie ist damit noch lange nicht vom Tisch. Die NZZ-Journalistin und Juristin Katharina Fontana verwies im Podiumsgespräch namentlich auf die Tendenz supranationaler Organisationen wie der Uno, die staatliche Prozesse auf dem Weg der Verrechtlichung abwickeln wollen, statt sie demokratisch legitimieren zu lassen. Die Frage, wie «Souveränität von unten» auch in Zukunft funktionieren kann, bleibt also aktueller denn je.

Nebelspalter: Der Staat und ich

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