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Die Einwanderung in den Schweizer Arbeitsmarkt ist ein Trugbild

Die Schweiz macht sich etwas vor, wenn sie meint, mit der Einwanderung in den Arbeitsmarkt eine Balance zwischen Kontrolle und Offenheit gefunden zu haben. Tatsächlich überwälzt das Regime die Kosten der Zuwanderung auf die Allgemeinheit und internalisiert den Nutzen bei Arbeitgebern und Migranten. Das ist nicht liberal und marktwirtschaftlich.

Gerhard Schwarz, Nzz.ch, 14.11.2023

Die Zuwanderung hat Auswirkungen auf die unterschiedlichsten Aspekte.
Annick Ramp / NZZ

Die gesellschaftlichen Nachteile der Migration zeigen sich immer klarer, Rufe nach rigoroser Steuerung werden lauter, und zuwanderungskritische Parteien erhalten Auftrieb. Trotzdem versuchen in der Schweiz vor allem wirtschaftsnahe Kreise das System der freien Einwanderung aus der EU in den Arbeitsmarkt als perfekte Kombination von Offenheit und Kontrolle darzustellen.

Da nur einwandern könne, wer einen Arbeitsplatz habe, kämen nur so viele Leute, wie das Land brauche, und diese brächten zudem jene Qualifikationen mit, die hierzulande fehlten. So viel Verkürzung der Realität grenzt an Fake News.

EU: Binnen- statt Zuwanderung

Erstens beschränkt jeder Staat auf der Welt seine Zuwanderung stärker, als es dieses Regime tut. Die EU (und ihre Mitgliedsländer) hat zwar innerhalb des Binnenmarktes und gegenüber der Schweiz die Personenfreizügigkeit zum höchsten Gut erhoben, aber nur, weil sie sich damit auf dem Weg zu einem Nationalstaat auf höherer Ebene wähnt. Ihre Aussengrenzen sind für Zuwanderer verschlossen. Es geht bei der Personenfreizügigkeit in der EU de facto nicht um Zu-, sondern um Binnenwanderung.

Zweitens ist das Ausmass der Zuwanderung mit Recht weltweit immer ein politischer Entscheid. Wanderung, auch von einem reichen Land in ein noch reicheres, ist nie nur ein ökonomisches Phänomen. Sie berührt Fragen des Zusammenlebens und der Infrastruktur. Dort, im kollektiven Bereich, fallen, drittens, jene externen Kosten an – harte wie Strassen und Schulen sowie weiche wie Anpassung und Dichte –, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer in ihr Kalkül nicht internalisieren.

Profiteure der Zuwanderung sind direkt die Einwanderer und ihre Arbeitgeber, indirekt und deutlich weniger die Gesellschaft. Als Therapie gegen die Überschuldung der AHV, wie oft behauptet wird, eignet sich die Migration ohnehin nicht, denn das würde verlangen, die Einwanderungsspirale immer weiter zu drehen – ein massloses Unterfangen, das irgendwann doch zu einem Ende kommen muss.

Viertens umfasst die Einwanderung wegen des Familiennachzugs nie nur Arbeitskräfte, welche die Schweiz dringend braucht. Schliesslich ist, fünftens, ein Wachstum, das darauf beruht, dass Jahr für Jahr mehr Arbeitskräfte ins Land kommen, nicht nachhaltig. Das Land lebt über seine Verhältnisse und wächst in die Breite.

Politisches Ziel nicht der Wirtschaft überlassen

Die Schweiz muss sich klar werden, wie viel Einwanderung sie will und wie gross die Wohnbevölkerung maximal ungefähr sein soll, 2030, 2050, ja selbst 2100. Die Einhaltung dieses politischen Ziels kann man nicht der Wirtschaft und ihrer Nachfrage nach Arbeit überlassen. Zuwanderung ist von grösstem Nutzen für ein Land, solange sie sich innerhalb des politisch akzeptierten Masses bewegt, möglichst viel Innovation und Fortschritt ins Land holt und nicht den Druck auf eine ständige Steigerung der Arbeitsproduktivität bremst.

Doch die bisher auch von vielen liberalen Kräften gebetsmühlenartig vorgenommene einseitige Betonung des Nutzens der Zuwanderung bei gleichzeitiger Bagatellisierung des Unbehagens breiter Kreise ist weder sachgerecht noch politisch erfolgversprechend.

Gerhard Schwarz war Leiter der NZZ-Wirtschaftsredaktion und ist heute Präsident der Progress Foundation.
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